Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Freuds Aufmerksamkeit auf unbewusste Abwehrmechanismen und Widerstände. Das Konzept beeinflusste die Ausarbeitung des topischen und später des Strukturmodells der Psyche und wurde ihrerseits durch diese Entwicklungen bereichert. Die Rolle, die die freie Assoziation für die Formulierung einer Deutung konfligierender Kräfte spielt, wurde später auf das Durcharbeiten von Abwehrmechanismen und Widerständen (Freud 1914g, 1926d, 1937d) sowie auf das Verständnis der Bedeutung von Träumen erweitert. Im Folgenden werden die verschiedenen Formulierungen des Konzepts, die sich in Freuds Gesamtwerk finden, im Zusammenhang mit der Entwicklung seiner psychoanalytischen Theorie dargestellt. II. Ba. Freie Assoziationen in der Zeit der Entdeckung des dynamischen Unbewussten: Anfänge der Methode Erstmals öffentlich an Beispielen erläutert hat Freud den Prozess des freien Assoziierens in seiner Traumdeutung (1900a) sowie in seiner Abhandlung Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901b). Masson (1985) schreibt allerdings in seinen Anmerkungen zu Freuds Brief an Fließ vom 4. Februar 1888, dass Freud schon 1892, also während der frühen Phase seiner Entdeckung des dynamischen Unbewussten, begonnen habe, „die Methode der freien Assoziation“ (S. 21) zu benutzen. Die Geburtsstunde der Psychoanalyse war Freuds revolutionäre Entdeckung der dynamischen Funktion der Abwehr in der Ätiologie der Hysterie. Die gegen das Erinnern gerichtete Abwehr (Verdrängung) öffnete ihm die Augen für die Bedeutsamkeit des Widerstands, „eine psychische Kraft bei dem Patienten […], die sich dem Bewußtwerden (Erinnern) der pathogenen Vorstellungen [widersetzte]” (Freud 1895d, S. 268). Diese Widerstandskraft, so seine theoretische Überlegung, arbeitete dem ins Bewusstsein drängenden pathogenen Material entgegen. Symptome erwiesen sich so als das Resultat gescheiterter Verdrängung, das heißt, als Wiederkehr des Verdrängten. Gleichzeitig wird der Affekt, welcher der verdrängten Idee “entrissen” wurde, “für eine somatische Innervation verwendet” (S. 288), das heißt, die Erregung wird durch hysterische Konversion in ein körperliches Symptom verwandelt. Der innovativen psychoanalytischen Methode der freien Assoziation lag die Erkenntnis zugrunde, dass es “ ganz aussichtslos [ist], direkt zum Kerne der pathogenen Organisation vorzudringen ” (S. 296), der sich wie ein Fremdkörper verhält (S. 294). Das freie Sprechen vermochte das Leiden von Breuers Patientin Anna O. zu lindern. Sie bezeichnete es als “chimney sweeping”, und so verzichtete Freud nach und nach auf die voranalytische Methode, mit der Hand Druck auf die Stirn seiner Patienten auszuüben, und ersetzte sie durch das freie Assoziieren (Freud [mit Breuer] 1895 [1894- 95]).

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