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verschiedenen dynamischen Modellen der Psyche wird menschliches Verhalten dementsprechend als Widerspiegelung der Aktivität libidinöser oder aggressiver Triebstrebungen verstanden, die dem modulierenden Einfluss einer Kombination aus intrapsychischer und relationaler Erfahrung unterliegen” (S. 65). In der postfreudianischen nordamerikanischen psychoanalytischen Theoriebildung behielt der Trieb eine wichtige Rolle in verschiedenen modernen freudianischen Objektbeziehungstheorien (einschl. Ich-Psychologie und moderner Konflikttheorie) sowie in nordamerikanischen, in der französischen Tradition stehenden Theorien, auch wenn die jeweiligen Konzipierungen sich voneinander unterscheiden. Während selbstpsychologische und relationale Ansätze der Triebausstattung als wichtigem Bestandteil der Entwicklung, der Motivation und des therapeutischen analytischen Prozesses traditionell weniger Bedeutung beimessen, postulieren einige zeitgenössische relationale Theoretiker Rekontextualisierungen der Triebe als biologisch gestützte, vorverdrahtete “multiple Dualitäten” oder “aversive Netzwerke” in Reaktion auf umweltbedingte Versagung in Beziehungs- und intersubjektiven Kontexten. Das argentinische psychoanalytische Wörterbuch (Borensztejn 2014) enthält einen Eintrag “Libidinöser und thanatischer Narzissmus” (S. 419-422), der eine Synthese der Freud’schen Triebtheorien von 1914 und 1920 und der Theorien zeitgenössischer Autoren wie André Green und Willy Baranger darstellt. Im Kern dieser Synthese steht eine libidinöse Besetzung der Zerstörung des Ichs (“das Ich töten”).
II. TERMINOLOGIE: INSTINKTE, TRIEBE, WÜNSCHE, BEDÜRFNISSE UND VERLANGEN
Was die deutschen Wörter Trieb und Instinkt betrifft, so bevorzugte Freud die Bezeichnung Trieb , die ins Englische am treffendsten mit drive übersetzt wird, weil er sich die Triebe als relativ kontinuierliche psychische Motivationssysteme auf der Grenze zwischen dem Körperlichen und dem Seelischen vorstellte (Freud 1915c). Den Begriff Instinkt hingegen verwendete er zur Bezeichnung diskontinuierlicher, starrer, genetisch vorverdrahteter angeborener Verhaltensschemata und Prädispositionen, deren Muster bei allen Angehörigen derselben Art identisch sind, wie sich bei Tieren beobachten lässt. Trotz Freuds eindeutiger Unterscheidung hat Strachey “Trieb” in der Standard Edition zumeist, wiewohl nicht ganz einheitlich, mit “instinct” übersetzt. So lautet die Überschrift von Freuds “Triebe und Triebschicksale” (1915c) in der Standard Edition “Instincts and their Vicissitudes”. Stracheys Übersetzung wurde wiederholt kritisiert, so dass in der zeitgenössischen psychoanalytischen Literatur “drive” der im Englischen am häufigsten verwendete Begriff ist.
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