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Bedürfnisse zu befriedigen. Das Bedürfnis ist universal, der Wunsch ist an Erfahrung gebunden und hat eine unverwechselbare persönliche Geschichte, ein persönliches Ziel und einen persönlichen Inhalt (Brenner 1982a, S. 22). Ein Bedürfnis wird psychisch nur so lange als Anforderung repräsentiert, wie es unbefriedigt ist. Anders als Wünsche werden Bedürfnisse gewöhnlich nicht verdrängt (Blum, zit. nach Akhtar 2009, S. 184). Ein Wunsch wird in Erinnerung und Phantasie dauerhaft und einhergehend mit entsprechendem Affekt psychisch repräsentiert. Die fortgesetzte Frustration eines Bedürfnisses kann zu struktureller Regression führen. Die fortgesetzte Frustration eines Wunsches kann zu dynamischer Veränderung und Kompromissbildung führen. Besonders bezeichnend für die französische Tradition ist die zentrale Rolle, die das Begehren für die Strukturierung des Subjekts spielt. Die französische Vokabel désir ist eine Übersetzung eines Begriffs, den Freud benutzte, um die unbewusste Dynamik der unbewussten Begierde und des Wunsches zu beschreiben (Skelton 2009). Das Begehren impliziert weniger individuelles Wünschen und Verlangen als vielmehr eine kontinuierliche Kraft. Das unbewusste Begehren, so wie ursprünglich von Lacan formuliert, ist die Kontinuität, Unaufhaltsamkeit und Beharrlichkeit der Existenzweise des menschlichen Subjekts. Selbst nachdem das Bedürfnis (durch den Anderen) befriedigt wurde, bleibt das Begehren, hervorgerufen durch des Subjekts unbewusste Wahrnehmung des Mangels , bestehen. Aufgrund des spezifischen Charakters der postfreudianischen französischen Theoriebildung enthält dieser Eintrag einen separaten Abschnitt über die französische Psychoanalyse, der die Entwicklung sowohl in Europa als auch in Nordamerika behandelt.
III. GESCHICHTE DER ENTWICKLUNG DES KONZEPTS
III. A. SIGMUND FREUD Freuds Triebbegriff hat sich im Laufe seiner Theoriebildung wiederholt verändert. Einige seiner zentralen Überlegungen finden sich, von zahlreichen weiteren Texten abgesehen, in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905d), in “Zur Einführung des Narzißmus” (1914c), in “Triebe und Triebschicksale” (1915c), in Jenseits des Lustprinzips (1920g), in Das Ich und das Es (1923b) und im Abriß der Psychoanalyse (1940a [1938]). Freud hat den Sexualtrieb zunächst als eine lebenserhaltende Kraft konzipiert, die er nach zahlreichen theoretischen Änderungen schließlich als Eros bezeichnete, eine Lebenskraft, die sich dem Todestrieb entgegenstellt. Da theoretische Lücken und klinische Beobachtung es verlangten, hat Freud seine Konzipierungen des Sexualtriebs im Laufe seines Lebens viele Male verändert. Er hat ihn als die psychische Repräsentanz des Lebenstriebs beschrieben. Mithin sind sämtliche psychische
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