Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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früheren Zustand zu zwingen, widerspricht der Überlegung, dass er gleichzeitig Ausdruck der Trägheit sei, denn die erste Überlegung impliziert Bewegung und die zweite impliziert Bewegungsstillstand. Freud findet die universale Geltung des konservativen Charakters der Triebe jedoch widersprüchlich und äußert die Vermutung, “es verhalte sich wohl so, daß es außer den konservativen Trieben, die zur Wiederholung nötigen, auch andere gibt, die zur Neugestaltung und zum Fortschritt drängen” (ebd., S. 39). Er hält diesem Einwand entgegen, dass die Lebenstriebe ebenfalls konservativ seien, denn: “ Das Ziel alles Lebens ist der Tod ” (ebd., S. 40; Hervorhebg. ergänzt). Er stützt das Postulat des Todestriebs auf dessen (paradoxe) Beziehung zum psychoanalytisch verstandenen Lustprinzip, das er wiederum von Theodor Fechners Konstanzprinzip der psychophysischen Beziehungen herleitet. Um seine These weitergehend zu untermauern, führt Freud das (instinktive) Migrationsverhalten von Fischen und Vögeln an. Er behauptete auch, „daß wir in den Phänomenen der Erblichkeit und in den Tatsachen der Embryologie die großartigsten Beweise für den organischen Wiederholungszwang haben“ (ebd., S. 38). In sukzessiven Schritten hochtheoretischer Ableitungen gelangt Freud zur Unterscheidung von Eros und Thanatos anhand ihrer zeitlichen Eigenschaften: „Es ist wie ein Zauderrhythmus im Leben der Organismen; die eine Triebgruppe stürmt nach vorwärts, um das Endziel des Lebens möglichst bald zu erreichen, die andere schnellt an einer gewissen Stelle dieses Weges zurück, um ihn von einem bestimmten Punkt an nochmals zu machen und so die Dauer des Weges zu verlängern“ (ebd., S. 43). III. Abd. Späte Triebtheorie in der Ära der Strukturtheorie / zweiten Topik, 1923 – 1940 Als Freud 1923 seine (erste) Topik des Unbewussten, des Vorbewussten und des Bewussten veränderte und seine zweite Topik, die Strukturtheorie des Es, des Ichs und des Über-Ichs aufstellte, war dies gleichbedeutend mit einer gründlichen Neuformulierung des Ichs und der Triebe (Freud 1923b). Die beiden 1920 beschriebenen Triebarten, Eros und Thanatos, werden sich demnach „miteinander verbinden, vermischen, legieren“ (S. 269) und sind im Es lokalisiert. So schreibt Freud: „Die gefährlichen Todestriebe werden im Individuum auf verschiedene Weise behandelt, teils durch Mischung mit erotischen Komponenten unschädlich gemacht, teils als Aggression nach außen abgelenkt, zum großen Teil setzen sie gewiß unbehindert ihre innere Arbeit fort.“ (S. 284) Und ein wenig später heißt es: „Je mehr ein Mensch seine Aggression meistert, desto mehr steigert sich die Aggressionsneigung seines Ideals gegen sein Ich.“ (S. 284) Im Kontext der Strukturtheorie (Freud 1923b, 1926d [1925] ), derzufolge die Triebe im Es gründen, aber allesamt auch im Ich und im Über-Ich aktiv sind, nährt der Destruktionstrieb den Konflikt zwischen grenzenloser Es-Aggression und dem primitiven oral- und/oder analsadistischen Über-Ich. Das Ich entschärft den Gegensatz zwischen Es, Über-Ich- und äußerer Realität. Im Es existiert keine Repräsentation oder

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