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prozesshaften Dimensionen der Symbolisierung. Das heißt, sie wird als ein Prozess betrachtet, der Teil der normalen Entwicklung ist und, beginnend mit einer präsymbolischen Stufe zu Beginn des psychischen Lebens, zur erfolgreichen Symbolisierung verläuft. Erforscht werden auch die Komplikationen dieser Entwicklung. Sowohl der normale Symbolisierungsprozess als auch seine Entgleisungen sind für das Verständnis von Normalität und Pathologie grundlegend. Unter Berufung auf die oben erwähnte Definition Gibeaults (Mijolla 2005) erkennt man in Lateinamerika im Großen und Ganzen an, dass die Symbolisierungsfähigkeit zwar vorwiegend angeboren ist und lebenslang erhalten bleibt, gleichwohl aber jeder einzelne Schritt die Gegenwart/Abwesenheit einer Anderen voraussetzt, die dem Baby im Rahmen der frühen Interaktionen ihre Symbolisierungsfunktion leiht. Das Kind wird so in den kulturellen Rahmen einbezogen und kann die Sprache verinnerlichen. Zahlreiche unterschiedliche regionale Beiträge innerhalb dieses breiten Rahmens werden im Abschnitt über Lateinamerika näher erläutert. Von Bedeutung ist die Verbindung der interdisziplinären und der psychoanalytischen Perspektive im Werk des Philosophen Paul Ricoeur (1974 [1965]) und seiner Definition der Symbolisierung als Prozess, der mit der Herstellung einer Spaltung zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten zum Abschluss kommt. Angel Garmas komparative psychoanalytische Untersuchungen der Symbolik in der lateinamerikanischen Kunst der Azteken und Maya, in ihren Artefakten und ihrer Mythologie sowie der Symbolik in griechischen, römischen, arabischen und asiatischen antiken Kulturen stehen für eine weitere Facette dieser Tradition (Garma 1954). Studien von Emma Ponce de León (2016) über die Symbolisierung als Prozess in der multidisziplinären psychoanalytischen Theorie und der klinischen Praxis knüpfen an die reiche interdisziplinäre regionale Tradition an. Mehr dazu unten.
II. HISTORISCHE ENTWICKLUNG DES KONZEPTS
II. A. Entwicklung des Konzepts bei Freud
Bei Sigmund Freud (1894a, 1895d [1893-95], 1950c (1895]) taucht „Symbol“ erstmals in “Die Abwehr-Neuropsychosen”, Studien über Hysterie und im “Entwurf einer Psychologie” auf, und zwar im Zusammenhang mit der Beschreibung symbolischer Verschiebungen bei der Entstehung hysterischer Symptome. Präziser formuliert: Das hysterische Symptom wird als “Erinnerungssymbol” eines pathogenen Traumas oder Konflikts beschrieben (Freud 1895d [1893-1895], S. 150). Demnach besitzen hysterische Symptome laut Freud eine Bedeutung, die sich in der symbolischen Repräsentation eines zugrundeliegenden Wunsches oder einer entsprechenden Phantasie zu erkennen gibt.
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