Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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sondern lediglich die Kommunikationskanäle offen halten. Relevant ist hierbei die Fähigkeit, einen hilfreichen Grad an Angst zu aktivieren und die Vollendung einer Aktion zu antizipieren, sobald die Bindung hergestellt, die Entscheidung getroffen und die Umstände beobachtet wurden (Kästen 1, 2, 3, 4). Dies geht mit einem Moment der Entwicklung des Ichs einher, in dem dieses lernt, sich die Signalangst zunutze zu machen. Auf diese Weise kann es sich von der Tyrannei der traumatischen Angst oder von der Notwendigkeit befreien, das Objekt unter allen Umständen besitzen zu müssen – ängstliche/eingeschüchterte Personen oder Individuen, die zur Flucht (Lieberman 1962) neigen bzw. die klassischen phobischen Eigenschaften aufweisen. Kasten 6: Dramatischer Stil mit ästhetischer Wirkung . Der maßgebliche Faktor sind die Botschaft und die von Jakobson beschriebene poetische Funktion. Entscheidend beteiligt ist die Fähigkeit des Ichs, in einer einzigen Botschaft durch Verwendung der verbalen Sprache und Kommunikationssymbolik den höchsten Grad an Kombinationen von Aktion, Affekt und Denken zu vereinen. Illustriert wird dies durch zum Beispiel durch Werbeslogans der demonstrativen Person (Liberman 1962) sowie durch den klassischen hysterischen Charakter und die hysterische Konversion. Diese Klassifizierung kann auch zur Definition des ideal plastischen Ichs herangezogen werden, das aus einer Kombination von Ich-Funktionen besteht, die sich in jeder Sekunde dem sozialen Feld, in dem das Subjekt interagiert, anpassen. Diesem Ich entspricht eine relative Abwesenheit von Psychopathologie, d.h. es ist weitgehend normal ( Plastizität oder „ Astereotypie “). Aus diesem Blickwinkel des analytischen Prozesses als therapeutische Interaktion betrachtet, kommt das Konzept komplementärer Stile insoweit zum Tragen, als der Analytiker, der verschiedene Kommunikationskodes benutzt, im Rahmen seiner Deutungsarbeit auch unter den unbegrenzten Möglichkeiten, die Signale seiner Deutungsbotschaften zu konstruieren, auswählen muss. Das Desiderat der stilistischen Komplementarität bedeutet, dass jede Intervention unter Berücksichtigung der Dringlichkeit des Affekts, der vorherrschenden Angst und der im Augenblick aktivierten Abwehr der Form und dem Inhalt nach eine optimal angepasste Deutungsreaktion darstellen sollte. II. B. Der “überangepasste Patient” Bei diesem Konzept handelt es sich um eine Erweiterung und Vertiefung von Libermans frühem Interesse an psychosomatischen Phänomenen, denen er sich schon in seiner Dissertation über die psychosomatische Semiologie gewidmet hatte (Liberman 1947). Als er sich dem Thema erneut zuwandte (Liberman 1982), betrachtete er nicht die organischen Eigenschaften als Kern der psychosomatischen Charakterisierung, sondern die Überanpassung an die Umwelt und an die nicht hinterfragten vorherrschenden kulturellen Werte. Die “überangepasste” Person passt sich der Realität auf eine passive, unkritische Weise an. Die wichtigste Konsequenz

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