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dieser “Überangepasstheit” ist eine Suspendierung oder Hemmung und Unterschätzung des körperlichen und des emotionalen Selbst. Aus diesem Grund spricht Liberman von einem “ überangepassten Umweltselbst ”, das er einem “ abgelehnten und unterjochten Körperselbst ” gegenüberstellt. Signale aus der Gefühls- und der Körperwelt werden infolge der durch einen defizienten Symbolisierungsapparat bedingten unzulänglichen Symbolkonstruktion ignoriert. Wenn die Körperreize nicht in den psychischen Prozess integriert werden können, wird die Psyche durch ein Defizit beeinträchtigt, das zu einer Dominanz der Exteriorität gegenüber der Interiorität führt. Konzeptuelle Zusammenhänge mit Sándor Ferenczis (1931, 1949) traumatisiertem „gelehrten Säugling“ und Donald W. Winnicotts (1955) „falschem Selbst“, das sich bei „nicht hinreichend guter Bemutterung“ entwickelt, sind unverkennbar. Wie eingangs erwähnt, war die Notwendigkeit, auf diese sogenannten Hilfsdisziplinen zu rekurrieren, das Ergebnis einer methodologischen Entscheidung im Hinblick auf Libermans Projekt, die wissenschaftliche Grundlage der Psychoanalyse zu untermauern; deshalb war es notwendig, eine spezifische empirische Basis der Psychoanalyse zu definieren. Die analytische Sitzung als einen Dialog zu betrachten, der sich im Rahmen einer menschlichen Interaktion entfaltet, setzt voraus, dass man die Erforschung des Unbewussten in der Sitzung von der Erforschung der Sitzung unter einem äußeren Blickwinkel unterscheidet. Das heißt, die Performanz beider Mitglieder der Dyade sowie die Verantwortung, die jeder von der beiden für das therapeutische oder iatrogene Ergebnis des Prozesses trägt, sollte mit einem möglichst geringen Grad an Subjektivität beurteilt werden. In der Sitzung ist nicht nur nicht ratsam, sondern unmöglich, sich von der eigenen Subjektivität zu distanzieren, denn beide Beteiligte tauchen zwangsläufig tief in die emotionale Übertragungs-Gegenübertragungsatmosphäre ein. Anders liegt der Fall, wenn man die Sitzung von außen untersucht. Um eine solche Objektivität zu erzielen, ist es laut Liberman notwendig, sich auf die sogenannten „Hilfsdisziplinen“ zu verlassen. Festzuhalten ist, dass Liberman die klassische Psychopathologie nicht etwa durch eine neue ersetzt hat: Ihm ging es vielmehr um eine von der Spezifität seiner Methode ausgehende originäre „Systematisierung der psychoanalytischen klinischen Arbeit“ – ein konsequentes Resultat der oben erwähnten methodologischen Entscheidung. Dass Liberman die psychoanalytische Therapie als einen Dialog betrachtete, bedeutete, dass er von Beginn an eine „verbindende“ Perspektive im Rahmen der wiederholt erwähnten menschlichen Interaktion voraussetzte. So schreibt er: „Die psychoanalytische Sitzung wird als ein Interaktionsprozess verstanden, in dem das Verhalten beider Mitglieder des [analytischen] Paares die Reaktion des jeweils anderen determiniert“ (Liberman 1976, S. 21). Man kann den auf den Postulaten der Theorie der Kommunikation beruhenden Liberman‘schen analytischen Dialog als ein Zusammenspiel von drei übereinander gelagerten Kommunikationsschaltkreisen
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