Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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der Traumübersetzung auf Symbolübersetzung einzuschränken und die Technik der Verwertung von Einfällen des Träumers aufzugeben. Die beiden Techniken der Traumdeutung müssen einander ergänzen; […] der Vorrang [verbleibt] dem zuerst beschriebenen Verfahren, das den Äußerungen des Träumers die entscheidende Bedeutung beilegt, während die von uns vorgenommene Symbolübersetzung als Hilfsmittel hinzutritt“ (S. 365). Um diesem Punkt Nachdruck zu verleihen, betont Freud in der 1914 erschienenen 4. Auflage: „Somit nötigen uns die im Trauminhalt vorhandenen, symbolisch aufzufassenden Elemente zu einer kombinierten Technik, welche sich einerseits auf die Assoziationen des Träumers stützt, anderseits das Fehlende aus dem Symbolverständnis des Deuters einsetzt“ (S. 358). Unbewusste Symbole, die unter dem Blickwinkel von Triebwunsch und einsetzendem Befriedigungsaufschub oder symbolischer Befriedigung als Kompromissbildungen verstanden werden können, erfüllen keine Kommunikationsfunktion. Die freien Assoziationen (und die Berücksichtigung der gesetzmäßigen Mechanismen des Primärvorgangs) zu der von der Zensur erzwungenen Verkleidung aber können zur Aufdeckung unannehmbarer (nicht kommunikationsfähiger) Wünsche führen, die sich hinter den Symbolen verbergen. Zusammen mit Träumen geben unbewusste symbolische Äußerungen jeder Art Zugang zu unbewussten Konflikten und Phantasien; seit den Anfängen der Psychoanalyse zählen sie zu den wichtigsten Grundlagen der Konstruktion von Deutungen. Freud hat diesen Aspekt der psychoanalytischen Symbolik, d.h. die Verkleidung sowie die Aufdeckung dessen, was sie verbirgt, in späteren Schriften weiterentwickelt. 1901 formuliert Freud (1901b) in seiner Psychopathologie des Alltagslebens ein radikales Verständnis der Kontinuität von neurotischer Krankheit und Gesundheit. Ausgehend von Träumen und Neurosen erweitert er die Bandbreite der Konzeptualisierung symbolischer Darstellungen auf das alltägliche psychische Geschehen bei relativ gesunden Individuen, in deren Fehlhandlungen wie Versprechern oder Verschreibungen sowie vermeintlichen Zufallshandlungen Phantasien und Wünsche einen indirekten symbolischen Ausdruck finden. Individualisierte Netzwerke symbolischer Substitute, die mit ähnlichen psychischen Mechanismen wie in Träumen und Neurosen arbeiten, z.B. Verdrängung und Reaktionsbildung, werden hier anhand einer bunten Vielfalt alltäglicher Aktivitäten aus Privatleben, sozialen Beziehungen, Freizeit und Berufsleben veranschaulicht. Der Text enthält zudem weitere Beispiele für den psychischen Determinismus und die Methode der freien Assoziation und erweitert die sozialen und kulturellen Bereiche, in denen die Theorie der Symbolik einschließlich der symbolischen Darstellung, Ersetzung, Äußerung und Bedeutung weiterentwickelt werden kann (Freud 1905c, 1907a [1906], 1910c, 1910e, 1912-13a [1912-13]), 1913f, 1919h, 1932a, 1939a). 1910 verfasste Freud u.a. zwei Beiträge mit direktem bzw. indirektem Bezug zur Symbolik: In Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci (Freud 1910c) legte er seine Konzeptualisierung des Zusammenhangs von psychoanalytischer Symbolik und künstlerischer Sublimierung erstmals umfassend dar.

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