Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

menschlichen Anpassung bezeichnet. Aufgrund dieses Arrangements sind – zweitens – die Triebe der Realität stärker entfremdet. Dies kann zu Problemen etwa in Form von Neurosen führen, kann aber mit zunehmender Plastizität der Triebe z.B. auch der Sublimierung zugutekommen (Hartmann 1972 [1952]). Damit diese Möglichkeiten realisiert werden können, müssen Triebe und Ich zusammenarbeiten. Hartmanns Lebenswerk war die Entwicklung einer Theorie, welche die Art dieser Kooperation erklärte: Er untersuchte, welchen Beitrag das Ich durch seine primären autonomen Funktionen wie Gedächtnis, Motilitätskontrolle und Integrationsfunktion zu leisten vermochte, und warf Licht auf die Natur der Triebe, die er vom Instinktverhalten unterschied. Was die Interaktionen zwischen dem Ich und den Trieben betrifft, so schaute er über den in der Ich-Abwehr gegen die Triebe verkörperten Antagonismus hinaus auf die Ich-Funktion der Triebneutralisierung, die Triebenergie für das Ich verfügbar und verwendbar macht (Hartmann 1972 [1952]). Was die Natur der Triebe betrifft, so haben Hartmann, Kris und Loewenstein eine duale Triebtheorie (Libido und Aggression) erarbeitet. Sie folgten Freuds Theorie der Sexualität und seiner Libidotheorie; ihre wirklich originären Beiträge betrafen die Aggression. Sie behaupteten, dass Freud in seinem späteren Werk tatsächlich zwei Aggressionstheorien verwendet habe, die allerdings miteinander verflochten und deshalb von späteren Kommentatoren häufig nicht unterschieden worden seien. Eine dieser Theorien war die des Todestriebs mit ihren spekulativen biologischen Grundlagen und der Überlegung, dass die Aggression als manifester Wunsch oder als Verhalten tatsächlich darauf zurückzuführen sei, dass das Drängen des Todestriebs auf Rückkehr in einen anorganischen Zustand nach außen gewendet werde. Die zweite Theorie ist die eines Aggressionstriebs, der viele Ähnlichkeiten mit dem libidinösen Trieb aufweist. Ebendiese zweite Aggressionstheorie Freuds wurde von Hartmann und seinen Mitarbeitern übernommen, erweitert und ergänzt. Aggressionstrieb und Libido sind hier ebenbürtig. Diese duale Triebtheorie hat in der amerikanischen Ich- Psychologie großen Einfluss erlangt. Sie wurde von Arlow und Brenner ebenso wie von den meisten anderen Analytikern, die Mitte des 20. Jahrhunderts in Nordamerika arbeiteten, übernommen, z.B. von Edith Jacobson, Margaret Mahler, Peter Blos, Phyllis Greenacre und andere. An ihr orientierte sich die theoretische und klinische Arbeit nordamerikanischer Kinder- und Erwachsenenanalytiker bis zum Beginn der 1970er Jahre (siehe auch den Eintrag ICH-PSYCHOLOGIE], die dem integrativen Denken von Hans Loewald und Otto Kernberg die Tür öffnete und damit auch den unterschiedlichen heutigen Trieb- und Affektkonzipierungen den Weg bahnte. Hartmann, Kris und Loewenstein (1949) widersprachen der Ansicht, dass Frustration die einzige Ursache der Aggression sei, mit der Begründung, dass diese sich auf vielerlei Weise wie ein Trieb verhalte und ständigen Druck auszuüben scheine. In diesem kontinuierlichen Drängen ähnelt der Aggressionstrieb ihrer Ansicht nach dem Sexualtrieb. Jeder Trieb hat, was Aktivität und Befriedigung betrifft, charakteristische Abfuhrmuster, die sich mit den verschiedenen Entwicklungsstufen verändern. Die Autoren vertraten die Ansicht, dass man auch in der steigenden Spannung der

848

Made with FlippingBook - Online magazine maker