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transformiert. Ihre psychoanalytische Anwendung findet sie in erster Linie als orientierungsdienliches Modell der klinischen Beobachtung. Sie ist keine metapsychologische Theorie, an der sich Deutungen orientieren sollten. Das Modell enthält drei Elemente: (1) das Zeichen O: zunächst unbekannte und nicht kennbare Situationen oder Umstände materieller wie erfahrungsbezogener Natur, die per definitionem nicht oder noch nicht mentalisiert wurden; (2) das Zeichen Tα: unbekannte psychische Prozesse und Funktionen, die wesentliche Qualitäten der ursprünglichen Situation in mentalisierte Form transformieren; die wesentlichen Qualitäten, von Bion als „Invarianten“ bezeichnet, bleiben während der Transformationsprozesse unverändert erhalten. (3) Das Zeichen Tβ: die Ergebnisse oder Produkte dieser Transformationen; dabei kann es sich um mentale, materielle und erfahrungsbezogene handeln, die aber unweigerlich die wesentlichen Qualitäten, die Invatianten, enthalten, wiewohl nun in neuer Form. In diesem Modell können die Beobachtungen des Analytikers in der Analyse als Tranformationsprodukte, Tβ, repräsentiert werden, deren wesentliche Eigenschaften, die Invarianten, oft emotionaler Natur sind. Das Modell der Transformationen in der Psychoanalyse soll Analytikern helfen zu erkennen, dass Emotionen in eine breite Vielfalt subjektiver mentaler Formen transformiert werden können. In Lateinamerika hat sich auch Paulo Cesar Sandler (2005), Verfasser von The Language of Bion , der Treue zum Originaltext verpflichtet. Sandler ist der bedeutendste Übersetzer Bion’scher Schriften ins Portugiesische. Er hebt insbesondere hervor, dass „Transformation und Invarianzen Teil desselben Konzepts sind, das eine Beobachtungstheorie konstituiert“. Definiert sind Transformation als „eine analytische Gesamterfahrung , die der Deutung unterzogen wird“ (Sandler 2005, S. 763). Des Weiteren betont Sandler, dass Bion Transformationen und Invarianzen als eine dynamische Aktivität verstand, die eine große Bandbreite menschlicher Aktivitäten abdeckt, z.B. Malerei, Mathematik und Psychoanalyse. „Die ursprüngliche Erfahrung, die Realisierung, im Falle des Malers also der Gegenstand, den er malt, und im Falle des Psychoanalytikers die Erfahrung, seinen Patienten zu analysieren, werden durch Malen im einen und durch Analysieren im anderen Fall in ein Gemälde bzw. in eine psychoanalytische Beschreibung transformiert “ (Bion 1997 [1965], S. 24; vgl. Sandler, 2005, S. 769). Ein weiterer wichtiger Trend in der zeitgenössichen lateinamerikanischen Theoriebildung bezügl. Transformationen ist eine ungemein originelle „weit gefasste“ Definition unter dem Stichwort des „Vertex der Komplexität“ sowie der Prinzipien der Ungewissheit und Unendlichkeit (Chuster 2014, 2018), um das Verständnis dieser mentalen Prozesse zu vertiefen, die gemeinsam die Entwicklung von einer Präkonzeption und Realisierung (auch als Realisation bezeichnet) zu einer Konzeption ermöglichen. Chuster (2014) betont, dass die menschliche Psyche Bion zufolge durch nichtlineare Prozesse wachsender Komplexität operiert, und definiert eine Transformation in diesem Sinn als eine Funktion, die zwei Elemente aus einem unendlichen Bestand miteinander verbindet und dadurch ein drittes produziert. Was
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