Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Material zu zeigen, dass partiell neutralisierte aggressive Triebenergie bei der Verdrängung als Gegenkraft oder „Gegenbesetzung“ diene, während partiell neutralisierte Libido benutzt werde, um Deckerinnerungen, Phantasien und Mythen zu besetzen, die die Aufmerksamkeit von dem verdrängten Inhalt ablenken und diesen verbergen. Hartmann (1972 [1948], 1972 [1950]) erklärte, dass es unterschiedliche Neutralisierungsgrade gebe und dass ein höherer Grad nicht in jedem Fall günstiger sei. Für die Selbstbehauptung benötige man einen etwas niedrigeren Grad an Neutralisierung, als wenn man aggressive Energie in Anspruch nehme, um ein Problem zu durchdenken. Hartmann und Loewenstein (1962) erläuterten diese Unterschiede auch in Bezug auf die verschiedenen Funktionen des Über-Ichs: Die Straffunktion beansprucht selbst im Falle eines weniger strengen Über-Ichs weniger neutralisierte Aggression als die Anleitungsfunktion. Das Ich-Ideal ist für gewöhnlich mit partiell neutralisierter Energie, die zuvor für die narzisstische Besetzung des Selbst verwendet wurde, besetzt. Als ein letztes Beispiel für die Verwendung von Triebkonzepten durch die klassischen Ich-Psychologen nennen wir Ernst Kris’ bekanntes Konzept der „Regression im Dienst des Ichs“. Während diese häufig als eine starke, vom Ich im Dienst seiner eigenen Bedürfnisse kontrollierte Regression betrachtet wird, behauptete Kris (1950, 1952), dass dieser Prozess die Kooperation von Ich-Kontrolle mit der Fähigkeit, Triebe zu neutralisieren und auch zu entneutralisieren, voraussetze, wodurch eine tiefgreifende Vermischung von Trieben und Ich möglich werde. Kris beschrieb, dass hochkreative Persönlichkeiten diese Veränderungen von den Tiefen des Es zu den Höhen des Ichs, von rohen Trieben zu ungleich stärker neutralisierten Formen sehr rasch und in beide Richtungen vornehmen können, so dass sie Zugang zu den Tiefen des Es finden und beinahe gleichzeitig die höchsten Ebenen der Symbolisierung solcher Tiefen erreichen. Andere Autoren, die in dieser Ära wichtige Beiträge zu Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Triebe leisteten, sind David Rapaport (1951a, b), der komplexe Beziehungen zwischen Affekten und Trieben mit Blick auf eine psychoanalytische Affekttheorie erforschte, René Spitz (1946, 1965), der anaklitische Depression und Angst im ersten Lebensjahr untersuchte, Max Schur (1962,1966), der die Transformation der Triebe im Laufe der Entwicklung erkundete, und Robert Waelder (1936, 1962), der Freuds „Ergänzungsreihen“ und sein Prinzip der Überdeterminierung aktualisierte und das Prinzip multipler Funktionen postulierte, dem zufolge die Triebe zusammen mit dem Ich und mit Umweltfaktoren an der Ätiologie der infantilen Neurose sowie verschiedenartiger adaptiver und fehlangepasster Entwicklungen im Laufe des gesamten Lebens beteiligt sind. IV. Ab. Edith Jacobson: Triebe als angeborene Potenziale In ihrem bahnbrechenden Buch Das Selbst und die Welt der Objekte revidierte Jacobson (1978 [1964]) Freuds Überlegungen zur Entwicklung von Libido und Aggression. Sie begann, die Triebe als Interaktionsprodukte zu konzipieren, um objektbeziehungstheoretische Ansätze mit der metapsychologischen Theorie zu

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