Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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verbinden, d.h. den ökonomischen Gesichtspunkt mit der Phänomenologie menschlicher Einfahrung in Einklang zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitete sie mit zwei komplementären theoretischen Strategien. Die erste bestand darin, analog zu dem, was in einem anderen konzeptuellen Bezugsrahmen als „repräsentationale Welt“ oder „Vorstellungswelt“ bezeichnet wird (Sandler und Rosenblatt 1962), auf die Selbsterfahrung des Kindes in seiner Umwelt zu fokussieren. Wurde die Vorstellungswelt aus einem angeborenen psychobiologischen Substrat hergeleitet, verstand Jacobson die Triebe als „angeborene Potenziale“, die sowohl durch innere Reifungsfaktoren als auch durch äußere Stimuli geprägt werden – dies insbesondere im Kontext der frühen Beziehungen, die wiederum die repräsentationale Welt des Kindes prägen. Dieser Ansatz ermöglichte es ihr, an Verbindungen mit früheren Trieb- bzw. Strukturmodellen festzuhalten. Jacobsons zweite Strategie war eine Revision der ökonomischen Prinzipien, durch die sie die Libidotheorie mit den Schicksalen der Objektbeziehungen synchronisierte: Die Lust- und Unlusterfahrungen des Säuglings, so Jacobson, bilden den Kern seiner Beziehung zur Mutter (Trieb-/Strukturmodell). Von Anfang an werden Erfahrungen gemäß der Art und Weise, wie sie sich für das Baby anfühlen, gespeichert. Jacobson behauptete, dass die Gefühlsfärbung der frühesten Erfahrungen zur Konsolidierung von Libido und Aggression beitrage und das Fundament für Selbst- und Objektimagines lege, von denen abhängt, wie wir uns letztlich in Bezug auf uns selbst und andere Menschen fühlen. Frustrierende oder verstörende Erfahrungen lassen Imagines einer frustrierenden Mutter, die dem Kind Befriedigung vorenthält, und eines wütenden, frustrierten Selbst entstehen, während positivere Erfahrungen der Imago einer liebevollen, gebenden Mutter und eines glücklichen, zufriedenen Selbst zuträglich sind. Somit trägt Jacobsons Theorie dem Zusammenspiel von realen Erfahrungen und Trieben Rechnung. Jacobson (1954) erläuterte, dass vor der Bildung der Grenzen zwischen Selbst und Anderem, d.h. in einer Phase, in der die ersten Imagines noch gemischte statt distinkter, in sich geschlossener Einheiten bilden, die Wahrnehmung der Anderen durch das Kind dessen Selbsterleben auf der Ebene der psychischen Repräsentation unmittelbar prägt. In diesem Zustand einer primitiven Fusion werden Objekte zu internalisierten Teilen der Selbstimagines; das innerste Selbstgefühl ist letztlich eine Weiterentwicklung dieser frühesten Imagines. Laut Jacobson unterstützt die Integration guter und böser Imagines, d.h. der „guten“ und der „frustrierenden“ Mutter, die Fähigkeit, widersprüchliche Gefühlszustände zu integrieren. Affektiv integrierte Imagines des Selbst und anderer Menschen unterstützen letztlich komplexere emotionale Erfahrungen. Frühe präödipale Erfahrungen mit Geboten und Verboten durch die Mutter lassen Imagines entstehen, die zum Kern des sich entwickelnden Über-Ichs werden. Zuvor hatte Freud (1940a [1938]) die Libido als Kraft beschrieben, die bindet, während die Aggression Verbindungen zerstört. Jacobson bezog diese Überlegungen auf die Separation-Individuation. Demnach integriert die Libido widersprüchliche

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