Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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II. A. INTERDISZIPLINÄRE WURZELN UND IHRE VERWENDUNG Paulo Cesar Sandler (2005), der als erster überhaupt Zugang zu Bions Bibliothek hatte und seine Randbemerkungen in den von ihm gelesenen Büchern sichten konnte, hat eine lange Liste der interdisziplinären Quellen zusammengestellt, die Bion für Transformations benutzte. Zu den bekanntesten Einflüssen zählen u.a. Platos Ideenlehre, Aristoteles’ mathematische Objekte sowie die Sätze von Pythagoras und Euklid; ferner die negative Dimension, wie sie Johannes vom Kreuz konzipiert hat; René Descartes’ Epistemologie der „Gedanken, die das Subjekt konstituieren, und nicht anders herum“; David Humes „konstante Verbindung“, Immanuel Kants Noumena und Phaenomena und seine Intuition/Anschauung; G.W.F. Hegels Wahrheitsbegriff, Grenzen des Idealismus, Religion und rationale Prozesse, das Unendliche und das Absolute; Blaise Pascals Intuition, Grenzen und Möglichkeiten der Wahrheitssuche; als besonders einflussreiche Quellen nennt Sandler Sylvesters und Cayleys Konzepte der algebraischen Formen, der Transformation und der Invarianten; Jules Henri Poincarés ausgewählte Tatsache und die Intuition; Max Plancks Quantentheorie; Albert Einsteins Relativitätstheorie; Werner Heisenbergs Unbestimmtsheitsrelation oder Unschärfeprinzip, dessen Einfluss von Arnaldo Chuster genauer untersucht wurde; R.B. Braithwaites Realitätsverständnis und sein wissenschaftliches deduktives System, das auf immaterielle einschl. unbewusster Prozesse anwendbar ist und dessen Einfluss auf Bions Werk auch von Barnet Malin (2021) erforscht und dokumentiert wurde; Tarskis und Carnaps Arbeiten über Aussagen; Bertrand Russels Antinomien, seine Zahlentheorie und sein Verständnis persönlicher Autorität; und Isaiah Berlins Konzept des Wirklichkeistssinns. Sandler, der Bions Bibliothek gründlich gesichtet hat, sieht sich in der Lage, die Grundlage des Zwillingskonzepts der Transformation und Invarianz zu betonen, das ursprünglich von den Mathematikern James Joseph Sylvester und Arthur Cayley entwickelt und von Bion in eine psychoanalytische Theorie der Beobachtung „übersetzt“ wurde: „Die erste Transformation hängt mit dem Akt der Beobachtung von etwas (was immer es sein mag) zusammen; die Beobachtung selbst erzeugt einen Eindruck im Geist des Beobachters, der die Transformation durchführt. Transformation bedeutet eine Veränderung der Form […]. Die Transformation, die Veränderung der wahrnehmbaren Form, […] impliziert auch den Erhalt wesentlicher Merkmale der materiellen oder immateriellen Tatsache, des Objekts oder der Person “ (Sandler 2005, S. 767). Durchgehend betont Sandler (2005), dass die interdisziplinären Quellen einschl. der quasi-athematischen Zeichen, Symbole, Gleichungen und des Rasters von Bion als Analogien verwendet werden, um das Verständnis des repräsentationalen Kommunikations- und Transformationsprozesses zwischen Patient und Analytiker zu vertiefen und die Präzision der Kommunikation unter Psychoanalytikern zu verbessern. Zum Beispiel betrachtete er die Mathematik (als eine Weiterentwicklung der

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