Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Darüber hinaus empfahl Schafer, eine Sprache zu verwenden, die Motivationskräfte und die aus ihnen resultierenden Handlungen als Handlungssequenzen miteinschließt. Roy Schafers (1973) und George Kleins (1973) Appell an Psychoanalytiker, sich zugunsten „klinisch validierter“ Konzepte „von der Metapsychologie zu befreien“, löste Diskussionen aus, die sich vorrangig um die Triebe drehten. Einer ihrer entschiedensten Schüler war Robert Holt, der sich bis in die 1990er Jahre hinein mit dem Thema beschäftigte. Er behauptete, dass der Bereich der Triebe durch Verwechslungen von Metaphern und Fakten sowie durch metapsychologische „mythologische“ Annahmen – die anstelle überprüfbarer Hypothesen stünden – kontaminiert sei. Das Hauptargument dieser Kritik besagte, dass der Trieb (als metapsychologisches Grundkonzept) ein Abbild des Szientismus des 19. Jahrhunderts sei, nicht mehr als ein (physikalistisch-mechanistisches und materialistisches) Überbleibsel von Freuds eigenem neurowissenschaftlichem Hintergrund. Erforderlich sei eine Aktualisierung auf neue Sichtweisen und Wissenschaftsphilosophien. Die Gründe lassen sich in drei wesentliche Gruppen aufteilen: Erstens ist die Triebtheorie laut Holt (1992) epistemologisch wenig stichhaltig, da sie an inneren Widersprüchen krankt. Sie steht auf allzu vielen konzeptuellen Füßen (einschließlich Geschichte, Psychologie und Physik), die nicht immer miteinander vereinbar sind. Die Sprache der Triebtheorie ist extrem metaphorisch , was aber oft gar nicht anerkannt wird; die deskriptive Verwendung eines Wortes zog die Überzeugung von einer konkreten Existenz nach sich. Zweitens gibt es Gründe faktischer Art. Die triebtheoretischen Annahmen, zum Beispiel Freuds Modell „passiver Reflexe“, haben sich nicht bewährt (Holt 1992, S. 385). Die angeborene Suche nach Spannungslinderung ist von Säuglingsforschern nicht bestätigt worden (z.B. Daniel N. Stern, 1985, der darin mit Fairbairn und Bowlby übereinstimmt). Kinder scheinen vielmehr nach Erregung zu suchen, die innerhalb einer besonderen Beziehung gehalten und containt wird. Zur dritten, der zweiten nahestehenden Gruppe der gegen die Metapsychologie des Triebs sprechenden Gründe zählen Forschungsfunde. Das Hauptargument lautet hier, dass die Triebtheorie nicht geeignet sei, Hypothesen aufzustellen, die wissenschaftlich überprüft werden können. Holt (1992) hält dies für einen der wichtigsten Gründe für die generelle wissenschaftliche Kritik an der Psychoanalyse. Holt verwahrt sich insbesondere gegen die Verwendung eines, wie er es nennt, „newtonianischen Physikmodells“, das auf Energien und Kräften beruht, die vermeintlich wie Neuronen in einem strukturellen Netzwerk aktiv sind. Er widersprach auch einer biologisch-evolutionär-historischen Perspektive, die der Evolutionsbiologie Begriffe entlehnt, die vorwiegend auf Lamarcks und Haeckels Theorien beruhen (Sulloway 1979). Zudem kritisiert er die „problematische Personifizierung“ der Triebe und die von ihm so genannte falsche Kausalität. Psychoanalytiker, so Holt, greifen allzu

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