Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Problem der Philosophie, mit dem sich auch Freud (1895, 1900) auseinandergesetzt hat. Daher ist das Zeichen O eine Chiffre für immaterielle und metyphysische Abstraktionen. Bion schrieb einmal, dass O mit dem Ursprung - „origin (O)“ -der Reaktionen des Patienten zusammenhänge (S. 37). Man kann darüber sprechen, was das Zeichen O repräsentiert, aber man kann nie direkt sagen, was O ist oder was vor der psychischen Transformation existiert. Bion benutzte später noch weitere Begriffe aus Philosophie und Mystik, um diese Überlegungen bezüglich des Zeichens O – einschließlich letzte Realität (der Metaphysik entlehnt), Idee oder Form (Plato) und Gottheit (Mystik). Zum Beispiel kann man vermuten, dass dem Universum eine dreiseitige Platonische Form inhärent ist, die man als Dreieck bezeichnen könnte. Die Form – die Idee – Dreieck hat eine von der menschlichen Existenz unabhängige immaterielle Existenz. Alle dreiseitigen Formen, denen wir in unserer materiellen und mit den Sinnen erfassbaren Welt begegnen und die wir als Dreieck bezeichnen, wurden von der Psyche durch Transformationen der Invariante – der Platonischen Form Dreieck – geschaffen. Solche Transformationen evolvieren aus Transformationen von O-als-Platonische Form Dreieck in Tβ eines jeden Dreiecks, das wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Bion vertrat die Ansicht, dass Emotionen und β-Elemente als initiale Realisierungen dienen können, d.h. dass das Zeichen O eine emotionale Erfahrung oder ein β-Element repräsentieren kann (β-Elemente – oder Beta-Elemente – haben nichts mit Tβ zu tun; siehe unten, „Transformationen und die Theorie des Denkens“ bezügl. der β-Elemente). Laut Bion existieren Emotionen und emotionales Erleben als eine Form der letzten Realität, des Ding-an-sich oder der Platonischen Form; dies spiegelt seine Behauptung wider, dass die primären Emotionen Wahrheit seien. Gefühltes emotionales Erleben, gleichgesetzt mit Wahrheit und dem Zeichen O. Fühlen ist vergleichbar mit dem Malen emotionaler Erfahrung. Anders herum formuliert: Da sie Produkte von Transformationen sind, werden als Freude oder Kummer bezeichnete emotionale Erfahrungen nicht durch das Zeichen O repräsentiert. Die Mehrheit der psychoanalytischen Schriften über die Theorie der Transformationen fokussiert auf O. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass Bion sein Buch Transformations betitelt hat und nicht „O“. Er nahm die Untersuchung der konzeptuellen Komplexität von O in den letzten Kapiteln von Transformations in Angriff, indem er die Vertices Psychoanalyse, Kunst und Mathematik um Mystik und Religion erweiterte. Die Untersuchung von O setzte er in seinem vierten Buch, Attention and Interpretation – auf Deutsch unter dem Titel Aufmerksamkeit und Deutung – fort (Bion 2006 [1970]). II. Db. Transformationen als Beobachtunsmodell für fortlaufende Veränderung Eine Illustration, die heute häufig herangezogen wird, um Transformationen als Prozesse fortlaufender Veränderung zu veranschaulichen, stammt von Plato. In der deutschen Übersetzung legt dieser im Zusammenhang mit dem griechischen Philosophen Heraklit Sokrates die folgenden Worte in den Mund: „Herakleitos sagt doch, alles bewege sich und nichts habe Bestand, und indem er die Dinge mit dem

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