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Strom eines Flusses vergleicht, sagt er: Zweimal kannst du in denselben Fluß nicht hinabsteigen ” (Platon, “Kratylos”, 402A). Der Fluss, in den man steigt, ist die Realisierung, und seine Wasser fließen – wandeln sich – ständig. Das Wasser, in das man steigt, sind die beobachtbaren Produkte des unendlichen Transformationprozesses des Flusses. Das immaterielle Konzept “Fluss” ist die Invariante, die bei fortlaufender Transformation sämtlicher Flusswasser unverändert bleibt. Diese Aussagen konstituieren sozusagen ein Beobachtungsmodell für Flüsse, sind aber keine theoretische Antwort auf die Frage, weshalb Flüsse so sind, wie sie sind. In ähnlicher Weise ist die Theorie der Transformationen ihrem Namen zum Trotz ein Modell für die Beobachtung von Evolution und Entwicklung des psychischen Lebens, aber keine Theorie, die erklärt, weshalb ein psychischer Zustand so ist, wie er ist. Bion hat Heraklit offenbar nirgends in seinen Schriften erwähnt. Allerdings schreibt Grotsein (2007) über seine Analyse bei Bion: “Er spielte oft auf Heraklits koan an …” (S. 213; siehe auch S. 27). Ein kurzer Moment des Nachdenkens macht klar, dass das Konzept der Transformationen nicht allein für die Psyche relevant ist. Das Modell kann ebenso auch auf Flüsse, Jahreszeiten, Lebenszyklus, Kunst, Philosophie, Mathematik, Religion Anwendung finden – auf sämtliche Veränderungen in sämtlichen Bereichen, also dermaßen breit und umfassend, dass es unter den gesunden Menschenverstand subsumiert werden kann. Bion benutzte sein Modell in erster Linie für die Psychoanalyse als Disziplin, welche Wachstum und Entwicklung des psychischen und emotionalen Lebens beobachtet. Das Modell hat vier Dimensionen, d.h. es beruht auf ständigem Fließen, auf Evolution und Entwicklung der Prozesse und Funktionen der Psyche. Als solches zieht es die psychoanalytische Beobachtung von der Suche nach übervereinfachten, zweidimensionalen Schnappschüssen von Triebabkömmlingen, unbewussten Phantasien, Deutungen etc. in der klinischen Begegnung ab. Diese fundamentale Adjustierung des Beobachtungsvertex spiegelt Bions Entwicklung als psychoanalytischer Kliniker und Theoretiker wider. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, ist die Transformationstheorie Teil seines Zugangs zu Psyche und Psychoanalyse. Sie dient als Knotenpunkt der Theorien der Funktionen, des Denkens, von Container-Contained, PS↔D, der emotionalen Verknüpfungen L (Liebe), H (Hass) und K (knowledge, Wissen), der Erfassung der Genese und Funktion des Denkens durch den Raster, des basalen kleinianischen Mechanismus der projectiven Identifizierung sowie der paranoid-schizoiden (PS) und der depressiven (D) Position, der freudianischen Konzepte Realitäts- und Lustprinz u.a.m. (Siehe auch die Einträge CONTAINMENT: CONTAINER-CONTAINED, PROJEKTIVE IDENTIFIZIERUNG, OBJEKTBEZIEHUNGSTHEORIEN, DAS UNBEWUSSTE, ICH-PSYCHOLOGIE).
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