Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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internalisierten Verhaltensmodelle oder die internalisierten Objektbeziehungen (in der Sprache der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie). Positive und negative Affekte, die Hirnstrukturen aktivieren, sind voneinander getrennt. Ihre Integration erfolgt erst auf höheren Ebenen der limbischen Strukturen und geht mit kortiko- limbischer Interaktion einher. Die allmähliche Integration emotional gegensätzlicher Zustände führt zu einem integrierten Selbstgefühl und einer integrierten Wahrnehmung Anderer. So kann sich die „normale Ich-Identität“ entwickeln. Die Veränderung von einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation zu einer neurotischen Persönlichkeitsorganisation ist durch einen Fortschritt von zunächst primitiven, vor allem auf Spaltung konzentrierten Abwehroperationen hin zu einer weiterentwickelten, auf die Verdrängung konzentrierten Abwehr gekennzeichnet. Diese höhere Ebene der Persönlichkeitsentwicklung spiegelt sich in der klaren Abgrenzung eines verdrängten dynamischen Unbewussten oder des strukturellen unbewussten Es wider, das durch unannehmbare internalisierte dyadische Beziehungen konstituiert wird, die unerträgliche primitive Aggression und Aspekte der infantilen Sexualität enthalten. Jahre zuvor hatte Kernberg (1998) die Genese des Hasses aus dem Aggressionstrieb beschrieben: Als primärer Affekt des Aggressionstriebs kann exzessive und chronisch aktivierte Wut als Hass strukturiert werden, d.h. als relativ „permanente Organisation einer wütenden Selbstrepräsentanz in Beziehung zu einer wuterregenden Objektrepräsentanz“ (S. 194). Diese Entwicklung ist von Blum (2020), Papiasvili (2019a, ab) und anderen detaillierter ausgearbeitet worden. Kernberg (2003a, b, 2004b, 2009) zieht auch in Erwägung, dass unter bestimmten extremen individuellen und sozialen Umständen die Anwendung des Todestriebkonzepts gerechtfertigt sein kann. IV. Fab. Mark Solms – ein integriertes neurobiologisches und psychoanalytisches Modell Mark Solms (2020, 2023 [2021]) hat eine allgemeine Theorie des neuralen Funktionierens formuliert, die die Grenzen zwischen neurobiologischen Strukturen und neurobiologischem Funktionieren einerseits sowie zwischen psychischen Strukturen und psychischem Funktionieren andererseit überbrückt. Als Grundprinzip sieht diese Theorie das homöostatische Gleichgewicht sämtlicher biologischer Funktionen vor, die für das Überleben des Organismus unverzichtbar sind und sich auf der Verhaltensebene wie auch auf den intrapsychischen Ebenen psychischer Organisationen wiederholen. Die beiden zentralen theoretischen Ansätze, die Solms in seinem Modell zusammenführt, sind zum einen Jack Panksepps Beitrag zur affektiven Neurowissenschaft und zum anderen der Beitrag, den der Neurowissenschaftler Karl Friston (2010) zur Informationstheorie geleistet hat. Fristons mathematischer Ansatz entwickelt das Verständnis der Organisation des neuralen Systems als komplexes Informationssystem, das sowohl endogene als auch exterozeptive Informationen aufnimmt, die zur Ausführung basaler lebenserhaltender Funktionen notwendig sind,

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