Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Wiederkommen“ bekannt, als typischen Beweis der Symbolisierungsarbeit eines Kleinkindes heran. Freud (1920g, S. 12) schrieb: „Das Kind hatte eine Holzspule, die mit einem Bindfaden umwickelt war. Es fiel ihm nie ein, sie zum Beispiel am Boden hinter sich herzuziehen, also Wagen mit ihr zu spielen, sondern es warf die am Faden gehaltene Spule mit großem Geschick über den Rand seines verhängten Bettchens, so daß sie darin verschwand, sagte dazu sein bedeutungsvolles o—o—o—o und zog dann die Spule am Faden wieder aus dem Bett heraus, begrüßte aber deren Erscheinen jetzt mit einem freudigen ‚Da‘. Das war also das komplette Spiel, Verschwinden und Wiederkommen“ (ebd., S. 12). Das Symbol steht für jedes Element des Spiels. Die Spule symbolisiert die abwesende Mutter, die Schnur symbolisiert die Verbindung mit ihr, eine Verbindung, die das Kind auch in ihrer Abwesenheit psychisch aufrechterhält. Diese Schnur ist auch ein Symbol der Macht, die das Kind gern besäße, die es aber nicht ausüben kann, eine Macht, die seine Mutter zur Rückkehr bewegen könnte; die motorische Aktivität des Kindes, die Gestik von Hand und Arm, die die Spule verschwinden und wiederkommen lässt, geht mit einer Vokalisation einher, die aus zwei Symbolen besteht, die „fort“ bzw. „da“ bedeuten. Somit liegt diesem Spiel eine ganze Welt miteinander kombinierter, verschiedenartiger Repräsentationen zugrunde. In Frankreich schließen sich die meisten Psychoanalytiker dieser von Freud dargelegten theoretischen Richtung an. So wird die Symbolisierung – neben Verschiebung und Verdichtung - zu einem der drei Mechanismen des unbewussten Primärvorgangs. Für Freud war die Symbolisierung offenbar eine universale Gegebenheit, zugleich aber auch ein psychischer Entwicklungsmodus. Erkennbar wird hier eine enge Verbindung zur Sublimierung und zur Besetzung der Übergangsobjekte. Jacques Lacan (1966) und seine Schüler in Frankreich konzeptualisieren die Symbolisierung auf völlig andere Weise. Lacan spricht dem Symbolisierungskonzept jede Grundlage ab, denn seiner Ansicht nach gibt es keine psychische Aktivität, die Symbole erzeugt: Es gibt keine persönlichen Symbole. Stattdessen begegnet das Kind einer von Lacan definierten „symbolischen Ordnung“, die schon vor dem Kind existiert. Das Symbolische ist „dem Menschen äußerlich“ und „schon vor dem Subjekt da“. Hier ist auf Lacans Verwandtschaft mit Jung zu verweisen. Statt von Vorstellung zu sprechen, benutzt Lacan im Rahmen seines linguistischen Modells den Begriff „Signifikant“ und behauptet, dass dieser dem Subjekt vorgängig sei. Die Vorstellung (oder Repräsentanz) ist daher nicht das Resultat eines persönlichen Symbolisierungsprozesses, sondern leitet sich aus der „symbolischen Ordnung“ her, die das Subjekt umgibt. Seine Theorie wird im Abschnitt über Lateinamerika, wo er sich als sehr einflussreich erwiesen hat, näher erläutert.

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