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III. Bb. Andere französische Konzeptualisierungen: Primäre und sekundäre Symbolisierung Das „diurnale“ Modell eines auf der Bändigung des Triebanspruchs beruhenden Prozesses wurde bis 1915 als wichtiger Mechanismus betrachtet, als Freud (1915c, 1915d, 1915e) in seinen metapsychologischen Beiträgen die mehrfachen „Niederschriften“ untersuchte, um herauszufinden, ob solche Niederschriften in dem System, in dem sie ursprünglich verzeichnet werden, erhalten bleiben und miteinander verbunden werden oder ob sie von einem System in ein anderes wechseln können. Ein Beispiel ist seine Formulierung zweier möglicher, rivalisierender Hypothesen in „Das Unbewußte“, nämlich 1. die These eines Funktionswandels und 2. die These einer Niederschrift an zwei Orten: „Wenn ein psychischer Akt (beschränken wir uns hier auf einen solchen von der Natur einer Vorstellung) die Umsetzung aus dem System Ubw in das System Bw (oder Vbw ) erfährt, sollen wir annehmen, daß mit dieser Umsetzung eine neuerliche Fixierung, gleichsam eine zweite Niederschrift der betreffenden Vorstellung verbunden ist, die also auch in einer neuen psychischen Lokalität enthalten sein kann, und neben welcher die ursprüngliche unbewußte Niederschrift fortbesteht? Oder sollen wir eher glauben, daß die Umsetzung in einer Zustandsänderung besteht, welche sich an dem nämlichen Material und an derselben Lokalität vollzieht?“ (Freud 1915e, S. 272f.) Ein dialektisches Ferment und eine klinische Schwierigkeit, die zu einer Krise der Metapsychologie führten, veranlassten Freud jedoch, mit „Trauer und Melancholie“ ein ergänzendes Modell einzuführen. Die Ausweglosigkeit der Melancholie hängt mit einer paradoxen Zirkularität zusammen: Um den Verlust des Objekts betrauern zu können, muss das Subjekt in der Lage sein, es zu symbolisieren und sich eine innere Objektrepräsentanz zu bewahren; um es jedoch symbolisieren zu können, muss das Subjekt Trauerarbeit geleistet haben (das Wiederfinden des Objekts in der „Wahrnehmungsidentität“ im Dienst der Befriedigung durch die „Denkidentität“). Die Repräsentation kann tatsächlich als eine Repräsentation eines als abwesend anerkannten Objekts betrachtet werden, das man nicht um jeden Preis und gemäß dem Modell der halluzinatorischen „Wahrnehmungsidentität“ gegenwärtig zu machen versucht; es handelt sich um eine „Symbolisierung des abwesenden Objekts“ auf der Grundlage seiner inneren Spur. Fortan stellt sich die Frage nach den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit das Subjekt die Abwesenheit des Objekts anerkennen und den Trost durch die innere Objektrepräsentanz annehmen kann. Hier tritt die Paradoxie zutage. Um akzeptieren zu können, dass das Objekt abwesend ist, ohne dass seine Nichtwahrnehmbarkeit dem Subjekt die Grundlagen des Seins entzieht, muss das Subjekt über eine innere Repräsentanz des Objekts verfügen, durch die es innerlich präsent bleibt (so dass die Psyche die innere Repräsentanz lediglich von der Objektwahrnehmung „abschälen“ muss).
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