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“Wie der Analysierte alles mitteilen soll, was er in seiner Selbstbeobachtung erhascht, mit Hintanhaltung aller logischen und affektiven Einwendungen, die ihn bewegen wollen, eine Auswahl zu treffen, so soll sich der Arzt in den Stand setzen, alles ihm Mitgeteilte für die Zwecke der Deutung, der Erkennung des verborgenen Unbewußten zu verwerten, ohne die vom Kranken aufgegebene Auswahl durch eine eigene Zensur zu ersetzen, in eine Formel gefaßt: er soll dem gebenden Unbewußten des Kranken sein eigenes Unbewußtes als empfangendes Organ zuwenden, sich auf den Analysierten einstellen wie der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist. Wie der Receiver die von Schallwellen angeregten elektrischen Schwankungen der Leitung wieder in Schallwellen verwandelt, so ist das Unbewußte des Arztes befähigt, aus den ihm mitgeteilten Abkömmlingen des Unbewußten dieses Unbewußte, welches die Einfälle des Kranken determiniert hat, wiederherzustellen“ (S. 381f.). Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass die Implementierung der freien Assoziation als Kernbestandteil der Freud’schen Grundregel auch deren Gegenstück in Form der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Analytikers umfasst. In “Zur Dynamik der Übertragung” untersuchte Freud (1912b) die Unterbrechung des Assoziationsprozesses im Lichte der Übertragungswiderstände. Er empfahl, dem Patienten zu deuten, „er stehe jetzt unter der Herrschaft eines Einfalles, der sich mit der Person des Arztes oder mit etwas zu ihm Gehörigen beschäftigt” (S. 366). Die Auffassung, dass Widerstände unvermeidlich sind, einen wesentlichen Teil jeder Analyse und das Pendant zur Abwehrseite des unbewussten pathogenen Konflikts bilden, wird hier noch einmal besonders hervorgehoben: Übertragungswiderstände sind das gravierendste Hindernis einer erfolgreichen Behandlung, und gleichwohl dienen korrektes analytisches Verstehen und Deuten dem Analytiker als überaus wirksames therapeutisches Instrument. Wohlwissend, dass “Spielregeln” nicht unumstößlich sind, mahnt Freuds Formulierung der Grundregel in “Zur Einleitung der Behandlung” zur Vorsicht: “Die außerordentliche Verschiedenheit der in Betracht kommenden psychischen Konstellationen, die Plastizität aller seelischen Vorgänge und der Reichtum an determinierenden Faktoren widersetzen sich auch einer Mechanisierung der Technik und gestatten es, daß ein sonst berechtigtes Vorgehen gelegentlich wirkungslos bleibt und ein für gewöhnlich fehlerhaftes einmal zum Ziele führt. Diese Verhältnisse hindern indes nicht, ein durchschnittlich zweckmäßiges Verhalten des Arztes festzustellen.“ (Freud 1913c, S. 454f.). 1912 wurde die psychoanalytische Grundregel implementiert, indem Freud die Patienten aufforderte, alles, was ihnen einfiel (Vorstellungen, Gefühle, Körperempfindungen, Träume) möglichst urteilsfrei, d.h. ohne Zensur, auszusprechen. Zwischen 1912 und 1915 arbeitete er die Interaktion zwischen dem Assoziationsprozess des Patienten und dem komplementären Prozess des Zuhörens und
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