Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Heideggers (1962) stark beeinflusst. Von seinen Schriften gehen Verbindungen aus zu Winnicott (1947, 1950, 1972), Erikson (1954), Kohut (1977), Mitchell (1993, 1997), Aron (1996), Hoffman (1998), Bromberg (1998) und anderen Autoren, die Versionen der Triebtheorie und Objektbeziehungstheorie vertreten, die an der Theorie der „offenen Systeme“ orientiert sind. Sein Entwicklungsmodell sieht vor, dass das Ich des Kindes aus einem Kern der körperlichen und seelischen Mutter-Säugling-Verbindung hervorgeht, in der die Psyche der Mutter mit dem undifferenzierten Zustand des Säuglings in einer spiralförmig und oszillierend verlaufenden Entwicklung interagiert, die durch Integration und Desintegration und den Drang zu neuerlicher Integration charakterisiert ist. Dieses Entwicklungsmodell besitzt insofern Implikationen für die Übertragung und Gegenübertragung, als alle Erfahrungen aus intersubjektiven Transaktionen hervorgehen, selbst wenn sich der Fokus auf das Individuum richtet (Loewald 1960). Loewald erkannte die große Bedeutung der Erkenntnisse an, die sowohl in der kinderanalytischen Arbeit als auch in den Analysen von psychotischen und Borderline-Patienten gewonnen wurden, in denen die Reaktionen des Analytikers einem besonders starken Druck seitens des Unbewussten des Patienten ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund vertrat er die Auffassung, dass Übertragung und Gegenübertragung getrennt voneinander betrachtet werden können und dass sowohl der Analytiker als auch der Patient Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen zeigen, die normale Bestandteile des analytischen Prozesses darstellen. Loewalds Erkenntnisse haben die Diskussionen über die Gegenübertragung nicht nur innerhalb der zunehmend diversifizierten nordamerikanischen psychoanalytischen Kultur, sondern weltweit richtungsgebend beeinflusst. Seither gilt die Gegenübertragung als ein unausweichlicher Aspekt der analytischen Beziehung , in dem sich Patient- und Analytikeranteile miteinander verflechten – eine der in der heutigen Psychoanalyse dominanten Perspektiven. Parallelen zu dieser Sichtweise finden sich im intersubjektiven Theoretisieren in Frankreich, Belgien und in der Französisch sprechenden analytischen Community in Nordamerika. Diese Richtung, die gelegentlich auch als „Das dritte Modell“ bezeichnet wird, geht davon aus, dass die „Zwei-Personen-Psyche“ in der menschlichen Entwicklung der psychischen „Eine-Person-“Autonomie der Triebe, der Abwehr und der intrapsychischen Phantasie vorausgeht: In der ersten Lebensphase muss die Psyche des Babys im Kontext der versorgenden Umwelt betrachtet werden (die Zwei- Personen-Psyche), bevor dann die innere topische Differenzierung der Systeme Unbewusst, Vorbewusst und Bewusst erfolgt und die Strukturierung von Es, Ich und Über-Ich (die Eine-Person-Psyche) möglich wird. Während dieses gesamten Prozesses der „Subjektwerdung“ (der Entwicklung eines innerlich differenzierten und strukturierten Subjekts) ist die enge Verbindung mit der „realen (potentiell traumatisierenden) Anderen“ (Lacan 1966/1977) von herausragender Bedeutung. Laplanche (1993, 1999) brachte Lacans Konzept des „traumatisierenden Realen (der Anderen)“ – der Bezugsperson – in den intersubjektiven Bereich ein. Er betonte, dass die durch die Nähe zum Körper des Säuglings angeregte unbewusste Sexualität (der

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