Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Babys mit seiner primären Umgebung. Anzieu verweist auf die spezifische Relevanz solcher „formalen Signifikanten“ und der mit ihnen zusammenhängenden Prozesse für Borderline-Persönlichkeitsorganisationen. Diese Konzeptualisierungen wurden in einer Reihe von Seminaren im Lyoner Forschungszentrum „Bibliothèque D. Anzieu“, die sich verschiedenen Formen der Symbolisierung widmeten, beträchtlich weiterentwickelt. Unter dem entwicklungspsychologischen Blickwinkel sind die Modi der primären Symbolisierung von den Charakteristika des psychischen Geschehens in den ersten beiden Lebensjahren abhängig, das insbesondere die Formen der ersten Verbindungen mit dem Objekt ohne präzise Repräsentation des Subjekts und seines Platzes sowie des Objekts registriert. Diese Konzeptualisierungen stehen auch mit der aktuellen neurowissenschaftlichen Forschung und der Entwicklungspsychologie sowie mit klinischen Studien über die frühe Kindheit im Einklang. Die primäre Symbolisierung betrifft in erster Linie die Repräsentation der Begegnung, den Modus der Präsenz und die Bindung, die auf der Grundlage der frühen Erfahrungen des Kindes in seinen ersten Lebensjahren aufgebaut wird. Sie liegt den sekundären Symbolisierungsfähigkeiten zugrunde, die allmählich in den Vordergrund treten, wenn die Reflexivität auftaucht und der kleine Mensch die Fähigkeit erwirbt, psychisch zu repräsentieren, dass er repräsentiert oder dass er nicht repräsentiert (Donnet & Green 1973), und wenn er Zugang zu den vorhandenen Repräsentationen findet, die die Sprache der Ding-Vorstellungen (die von Freud, 1913b, S. 403, als „Sprache der Träume“ und „Traumsprache“ bezeichnet wurde) und die Sprache der nonverbalen Ausdrucksweisen des Kindes charakterisieren, die ihm den Zugang zum verbalen Ausdruck eröffnen (vgl. auch Baranés 2002). All diese Arbeiten legen die Betonung auf Symbolisierungsweisen, die nicht länger ausschließlich auf der Abwesenheit des Objekts beruhen, sondern die Modi der Begegnung und der Präsenz des Objekts sowie die Form der ersten, in den ersten Lebensjahren registrierten Verbindungen in die Theorie der Symbolisierung integrieren. Die Autoren identifizieren die Prozesse, die für das Archaische – statt nur für das Infantile im strengen Wortsinn - zentral sind. Sie spielen eine wichtige Rolle in der französischsprachigen Psychoanalyse, die unter Berufung vor allem auf Freud nach wie vor davon ausgeht, dass psychoanalytische Praxis und Übertragungsanalyse nicht lediglich im „Hier und Jetzt“ der Sitzung zu verstehen sind, sondern dass immer auch die Zeugnisse und Verwerfungen [rejections] früherer Erfahrungen im latenten Denken des psychoanalytischen Zuhörens berücksichtigt werden müssen. Diese Themen werden auf der internationalen Ebene weiterhin kontrovers diskutiert. Was die Symbolisierung betrifft, so ist ein weiterer Punkt zu erwähnen, nämlich ihre Beziehung zur Reflexivität. Gestützt auf W. R. Bions Aufsatz „Eine Theorie des Denkens“ (Bion 2013 [1962]) unterstreichen André Green und Jean Luc Donnet die Bedeutung nicht nur der psychischen Repräsentation, sondern auch der Notwendigkeit, die Aktivität der Repräsentation, das Repräsentieren oder die „Repräsentation der

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