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Hoffman (1995) formulierte, „aus ‚multiplen universalen Dualitäten‘ bestehende Triebtheorie“ (S. 890). Im Rahmen der auf die Säuglingsforschung rekurrierenden Theorie motivationaler Systeme (einem der zeitgenössischen Zweige der Selbstpsychologie) formulieren Joseph Lichtenberg und Barbara Shapard (2000) eine Alternative zur Konzeptualisierung des Hasses als Abkömmling eines primären aggressiven Triebs und erklären, dass “ein aversives Motivationssystem sich in frühester Kindheit in Reaktion auf das Bedürfnis entwickelt, mit Antagonismus und/oder Rückzug auf jeden dystonischen inneren oder äußeren Stimulus zu reagieren” (S. 345). Bei unsicher gebundenen Säuglingen und Kleinkindern wird dieses aversive Motivationssystem schon früh pathogen organisiert, so dass die Bedürfnisse und Wünsche aller übrigen Motivationssysteme einen durchgehend negativ getönten Affekt auslösen können. Eine so beschaffene frühe Organisation des aversiven Motivationssystems bildet dann eine Anlage [im Orig. deutsch], die das Auftauchen von Hass und anderen hartnäckigen antagonistischen und Rückzugsmustern begünstigt. Wenn sich eine solche Grundlage bildet, weist diese aversive Organisation unsicher gebundener Säuglinge /Kleinkinder Ähnlichkeit mit einem aggressiven Trieb auf und äußert sich als triebähnlicher Impetus , antagonistisch zu reagieren. Lichtenberg und Shapard betonen, dass diese starr organisierten aversiven Netzwerke in Reaktion auf überwältigende traumatische Erfahrungen in jedem Alter aktiviert werden können. Adrienne Harris (2019) wirft Licht auf die umstrittene Geschichte des Konzepts einer primären Destruktivität. Bezugnehmend auf die psychoanalytischen Schriften von Freud (1915b), Sabina Spielrein (1912), Victor Tausk (1919) und Sándor Ferenczi (1928) sowie auf Werke der Weltliteratur und der Philosophie zeichnet sie die Entwicklung des Todestriebbegriffs von seinen Anfängen im Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart nach. Klinische Beispiele illustrieren die Sexualisierung von Gewalt im gesellschaftlichen Kontext und das gemeinsame Thema: „Eros und Thanatos, Leben und Tod, Erregung, Veränderungs- und Vernichtungswünsche verflechten sich“ (Harris 2019, S. 89).
V. FRANZÖSISCHE PERSPEKTIVEN: FRANKREICH, KANADA UND USA
Das Objekt, der reale Andere und der Trieb Die französische psychoanalytische Tradition auf beiden Seiten des Atlantiks stellt den Gegensatz zwischen „Objekt“ und „Trieb“, „objektsuchend“ und „lustsuchend“ sowie zwischen „innerem“ Objekt und „realer“ Person / „realem“ Anderen im Aufbau der Psyche infrage. So wie das Objekt den Trieb „verrät“ (Green 1998, S. 1178), kann keine psychoanalytische Theorie einer Konfrontation mit dem doppelten Status des Objekts
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