Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Der erste publizierte Text Freuds, in dem er den Begriff „unbewusst“ benutzte“, erschien 1893. Es war die Abhandlung „Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene. Vorläufige Mitteilung“, die 1895 in die Studien über Hysterie aufgenommen wurde. Seine allerletzte, unvollendet gebliebene theoretische Schrift aus dem Jahr 1938, „Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis“ (Freud 1940c), enthält eine neuerliche Rechtfertigung des Begriffs. Aus einer Zusammenfassung, Erweiterung und Aktualisierung der jeweils jüngsten regionalen Wörterbücher (Akhtar 2009; Auchincloss 2012; Laplanche & Pontalis 1967/73; Borensztejn 2014) lässt sich die folgende(n) Definition(en) des Unbewussten herleiten: Seit den Anfängen der psychoanalytischen Theorie wird der Begriff „das Unbewusste“ zumeist folgendermaßen benutzt: das Dynamische Unbewusste bezeichnet in erster Linie aktiv verdrängtes Material, das für die bewusste Psyche nicht akzeptabel ist; allgemein formuliert, bezieht sich der Begriff auf sämtliche Inhalte, die aktiv aus dem bewussten Gewahrschein ausgeschlossen werden und in Richtung Bewusstsein drängen; das System Unbewusst bezeichnet einen Aspekt des psychischen Apparats, der ausschließlich gemäß dem Lust-Unlust-Prinzip und dem Denken des „Primärvorgangs“ operiert und der „unbewussten Logik“ gehorcht; das Deskriptive Unbewusste , auch als „Vorbewusstes“ bezeichnet, benennt einen psychischen Inhalt, der lediglich im Augenblick nicht bewusst ist. Zu den Inhalten des Unbewussten zählen die Triebe sowie deren Abkömmlinge; des weiteren Material, das sich infolge der „Urverdrängung“ angesammelt hat, Inhalte, die durch Verdrängung ins Unbewusste gelangten, sowie phylogenetische Schemata, die die „Urphantasien“ organisieren. Als Adjektiv begegnet „ unbewusst“ im Rahmen der Strukturtheorie/zweite Topik des Es, Ichs und Über-Ichs. Hier wird das gesamte Es als unbewusst bezeichnet, aber auch Teile des Ichs und des Über-Ichs (Ideal-Ich, internalisierte moralische Grundsätze) sind unbewusst. Im gesamten Freud’schen Werk und in zahlreichen postfreudianischen und zeitgenössischen psychoanalytischen Modellen ist die Adjektivform „unbewusst“ zugleich ein fester Bestandteil von Konzepten wie unbewusste Prozesse/Vorgänge und unbewusste Verarbeitung , unbewusste Objektbeziehungen , unbewusster Konflikt , unbewusste Phantasie , unbewusste Ich- Aktivität , unbewusste Kommunikation , unbewusste Logik oder Konzepten wie dem a-mentalen Unbewussten und dem „realen“ (nicht entzifferbaren) Unbewusste. Chronologisch lässt sich Freuds Werk in folgende Epochen einteilen: Die Entdeckung des dynamischen Unbewussten erfolgte in den Jahren 1893—1900, also bis zur Veröffentlichung von Die Traumdeutung . Die Phase von 1900 bis 1923 könnte man unter die Überschriften Das System Unbewusst oder Das topische Unbewusste stellen. Die auf die Veröffentlichung von Das Ich und das Es folgende Epoche nach 1923 schließlich könnte als Das Unbewusste des Strukturmodells/des zweiten topischen Modells des psychischen Apparats bezeichnet werden. Freilich

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