Zurück zum Inhaltsverzeichnis
(1999, 2002, 2014, 2018) hat erkannt, dass Bion diese Überlegung unter Rückgriff auf Gödels (1931) Theorie der „unentscheidbaren Sätze“ aus dem zweiten „Unvollständigkeitssatz“ erweiterte, die auf formale Systeme von hinreichender Komplexität der Beobachtung anwendbar ist und auch von Heisenberg für seine Unschärferelation (auch als Unbestimmtheitsrelation bezeichnet) benutzt wurde. Dahinter steht die Überlegung, dass jede Verbindung einen Beobachtungspunkt enthält, von dem aus man nicht eindeutig entscheiden kann, was zu der einen und was zu der anderen Seite gehört. Zum Beispiel gibt es einen Punkt, an dem man nicht weiß, ob etwas zum Patienten oder aber zum Analytiker gehört. Hier sind noch zahlreiche andere Beispiele denkbar: Familie-Patient, Gesellschaft-Familie, Mutter-Baby, Mund-Brust, Fötus-Uterus usw. Der unentscheidbare Punkt ist „O“. Die durch Deutungen getroffenen Entscheidungen sind auf die laufende Arbeit zurückzuführen, die sich aus einem solchen Punkt der Unbestimmtheit ergibt. Dennoch sind Deutungen immer vorübergehende Gedanken eines einzelnen Entscheidungsmoments. Der nächste Moment macht die getroffene Entscheidung unannehmbar. Bion hat „O“ auch übersetzt, indem er auf die Sprachästhetik John Miltons in Paradise Lost und „das endlos Ungestalte“ rekurrierte. Diese Formulierung bringt seine Vorstellung von Unendlichkeit als Definition der unbewussten Psyche sehr klar zum Ausdruck. Somit definiert „O“ das Unbewusste als etwas, das immer jenseits dessen ist, was es in unserer Vorstellung zu sein scheint. Es ist immer in Erweiterung/Ausdehnung (work in progress) begriffen, eine unsagbare Essenz, fast unzugänglich wie eine letzte Realität oder eine letzte Wahrheit. Diese Proposition weist einen tiefen Zusammenhang auf mit dem Beobachtungsproblem, das in der aus Heisenbergs Unschärferelation resultierenden epistemologischen Kritik angelegt ist (vgl. Heisenberg 1929). Diese Kritik besagt, dass man ein neues Beobachtungssystem benötigt, wenn die augenblicklich verwendete Methode mit Interpretationen gesättigt ist, die durch die Vielzahl der möglichen emotionalen Bindungen an das beobachtete Objekt unklar werden. Allgemein bedeutet dies, dass der Beobachter die beobachtete Tatsache in ein neues System verändern sollte, um ihre Validität verifizieren zu können. Bion wählte die Metaphern der algebraischen projektiven Geometrie, die einen zentralen Platz in der modernen Mathematik einnimmt und mannigfaltige konzeptuelle Verbindungen mit solch unterschiedlichen Feldern wie Funktionentheorie, Topologie und Zahlentheorie aufweist. Die konsequent auf die Theorie des Denkens angewandte mathematische Funktionentheorie ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass Bion nach einem solchen mathematischen Instrument als System der Verifizierbarkeit der analytischen Theorien suchte. So wird die Brust zu einem Punkt, die Bewegung des Mundes zur Brust zu einer Linie, die beiden Brüste werden zu zwei Punkten, die projektive Identifizierung zu einer Hyperbel: „Es ist zweckmäßig, die Existenz eines Geistes zu postulieren, der völlig von Punkten, Objekt-Positionen und Orten, an denen etwas zu sein pflegte oder zukünftig sein wird, repräsentiert wird. Im Raum wahrgenommene
877
Made with FlippingBook - Online magazine maker