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Asymmetrie zwischen der Erwachsenen und dem Kind, die Laplanche wegen ihrer gewaltigen Konsequenzen für die psychische Struktur des Kindes betont, hängt damit zusammen, dass die Erwachsene ein sexuelles und sprechendes Wesen mit einem Unbewussten ist, das Baby hingegen weder sexuell ist noch sprechen kann und innerlich auch noch nicht geteilt ist. Die Erwachsene merkt kaum, dass in der primären Intimität mit dem Säuglingskörper ihre eigene unbewusste infantile Sexualität getriggert wird. Diese unbewusste Sexualität „kontaminiert“ den intimen Austausch mit dem Säugling durch „rätselhafte Botschaften“, die das Baby aufgrund fehlender kognitiver, emotionaler und korporealer Möglichkeiten noch nicht dekodieren kann und die den Trieb und die unbewusste Phantasie in Form eines inneren „Drängens auf Übersetzung“ erzeugen. Laplanche hält diese infantile und ihrem Wesen nach enigmatische Sexualität nicht für angeboren, sondern für ein Implantat der/des realen Anderen, auch wenn die Realität, auf die es ankommt – in einer hochkritischen Überarbeitung Lacans –, die Realität der „Botschaft“ ist, eine dritte Realität, die Laplanche der psychischen und der materiellen Realität Freuds hinzufügt. Die menschliche Sexualität – worunter Laplanche durch Phantasie vermittelte Sexualität versteht – kommt von der/dem Anderen und ist als solche entfremdet, dem Ich fremd. (Siehe auch den Eintrag INTERSUBJEKTIVITÄT) V. Bc. Dominique Scarfone Dominique Scarfone (2002, 2003, 2006), französisch-kanadischer Analytiker, hat Laplanches Konzept der „rätselhaften Botschaft“ weiterentwickelt und der Dimension der Zeitlichkeit zentralen Stellenwert beigelegt. Die Zeit, so Scarfone, kommt durch die Übersetzungsarbeit ins Spiel, die auch eine Urspaltung der Psyche zwischen den übersetzten Elementen (die schließlich miteinander verschmelzen und das Ich bilden) und den nicht übersetzbaren Residuen beinhaltet, die die urverdrängten Triebquellen bilden (Laplanche 2011 [1987]). Die Geburt der Zeit erfolgt daher parallel zur Differenzierung der psychischen Strukturen. Folglich ist Übersetzung eine Urstrukturierung, die in der Psyche aber unausgesetzt aktiv ist: Übersetzen ist Teil einer Gruppe von Begriffen wie Verstehen, Erklären, Deuten und auch Symbolisieren. In einem Versuch, Trauma und Triebtheorie der Psychopathologie zu integrieren, nimmt Scarfone (2017) eine abermalige Untersuchung des Traumabegriffs vor und unterstreicht in Freuds Theorie der Kriegsneurose den kurzen Hinweis, dass die Verdrängung an sich eine „elementare traumatische Neurose“ sei (Freud 1919d, S. 324). Scarfone (2017) stimmt mit Freud darin überein, dass die Triebe den Körper einbeziehen, behauptet aber im Einklang mit Laplanche und im Unterschied zu Freud, dass die Triebe nicht dem Körper entstammen, d.h., dass dieser nicht ihre biologische Quelle ist. Der „unübersetzbare“ Teil der Botschaft, der von der übrigen Ich-Struktur nicht genutzt werden kann, ist derjenige Teil, bezüglich dessen das Subjekt immer in- fans (sprachlos) bleiben wird. Dies erklärt, weshalb der Sexualtrieb intrinsisch traumatisch ist, doch weil eine partielle Übersetzung erfolgt, findet ein
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