Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Zu den Beispielen kreativer originärer Erweiterungen zählen das Konzept der autistischen Transformation und der unintegrierten Transformationen von Celia Fix Korbivcher sowie die von Arnaldo Chuster ausgearbeiteten Entwicklungen über die Theorie der Komplexität durch die ethisch-ästhetischen Prinzipien. III. Aa. Arnaldo Chusters ethisch-ästhetische Prinzipien Chuster (1999, 2002, 2011, 2014, and 2018) hat Bions Transformations als eine auf dem Prinzip der Unbestimmtheit der Beobachtung beruhende, hochdifferenzierte und intuitive Anwendung der Komplexitätstheorie beschrieben und dieses Prinzip zu den von ihm so genannten ethisch-ästhetischen Prinzipien der Beobachtung ausgearbeitet. Diese umfassen Komplexität (die wiederum alles andere in sich enthält), Unbestimmtheit, Unendlichkeit, Singularität, Unvollständigkeit, Unentscheidbarkeit des Ursprungs sowie die negative Fähigkeit. Sie alle sind auch Erweiterungen von Bions Konzept der „drei Prinzipien des Lebens“ (Bion1987 [1979]), die er ableitet von Freuds „Zwei Prinzipien des psychischen Geschehens“. Sie lauten: „Erstens Fühlen; zweitens antizipierendes Denken; drittens Fühlen plus Denken plus Denken. Letzteres ist gleichbedeutend mit Besonnenheit oder Voraussicht * Handeln“ (Bion 1987 [1979], S. 329). Chuster zufolge und epistemologisch gesprochen sollte sich die Anwendung eines jeden Modells an diesen drei Prinzipien orientieren. Die assoziierten ethischen und ästhetischen Vertices (Blickwinkel) sollen als Sprache für Interpretationen jeder lebenden Realität erzeugen. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre hat Chuster (1999, 2002, 2003, 2011, 2018; Chuster et al. 2014) Bions Theorie der Transformationen erhellt und ergänzt. Sein Ausgangspunkt war Bions psychoanalytisches Modell mit der Empfehlung, auf eine neue Weise zu denken, die in der Bewegung des Kerns der Psyche verkörpert ist, den Bion als Präkonzeption bezeichnet. Dem Model zufolge sucht die Präkonzeption nach einer Realisierung, um Konzeptionen (Gedanken) hervorzubringen; es ist ein dreiphasiges Modell, das sich epistemologisch von den vier Schritten der Freud’schen Triebtheorie unterscheidet. Man kann es als ein nicht-strukturelles Modell bezeichnen. Die mithilfe des Komplexitätsprinzips beobachtete Bewegung der Präkonzeption zeichnet die menschliche Evolution auf neue Weise nach; man könnte das Modell der Präkonzeption tatsächlich als eine Repräsentation solch hoher Komplexität betrachten, die Bion (1997 [1965]) auch als „O“ bezeichnet hat. Das Modell der Präkonzeption besagt, dass Menschen „neotenische Eigenschaften“ nur langsam entwickeln und bestimmte pränatale und neonatale Eigenschaften noch bis weit in die fortgeschrittenenen Stadien ihrer Entwicklung behalten (Chuster 2018). Sie werden sehr unreif geboren, so dass angeborene Faktoren verringert und die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, verbessert werden kann. Das Leben ist eine Angelegenheit des Lernens aus Erfahrung, lokalisiert in der rätselvollen Psyche. Als Beispiel für die Komplexität der Präkonzeption kann man ihre Produktion und ihre Produkte im Bereich von Gedanken und Sprache untersuchen, d.h. die

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