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solche Polarität, die von Liebe (Zärtlichkeit) und Haß (Aggression). Wenn es uns gelänge, diese beiden Polaritäten in Beziehung zu einander zu bringen, die eine auf die andere zurückzuführen! Wir haben von jeher eine sadistische Komponente des Sexualtriebes anerkannt; sie kann sich, wie wir wissen, selbständig machen und als Perversion das gesamte Sexualstreben der Person beherrschen. Sie tritt auch in einer der von mir sogenannten ‚prägenitalen Organisationen‘ als dominierender Partialtrieb hervor. Wie soll man aber den sadistischen Trieb, der auf die Schädigung des Objekts zielt, vom lebenserhaltenden Eros ableiten können?“ (Freud 1920g, S. 57f.). Gioia fragt: Was hat Freud veranlasst, die Korrelation zwischen Liebe und Tod nicht weiter zu untersuchen? Gioia führt weitere Beispiele für Freuds Selbstbefragung an:“Man könnte mich fragen, ob und inwieweit ich selbst von den hier entwickelten Annahmen überzeugt bin. […] Ich verkenne nicht, daß der dritte Schritt in der Trieblehre, den ich hier unternehme, nicht dieselbe Sicherheit beanspruchen kann wie die beiden früheren, die Erweiterung des Begriffs der Sexualität und die Aufstellung des Narzißmus.” (Ebd., S. 3f.) Durch aufmerksame Lektüre solcher Passagen stellt Gioia (1977) Freuds späten Triebdualismus infrage. Er findet “innere logische Widersprüche, die nicht oder nur sehr schwierig aufzulösen sind” (S. 287). Einer dieser Widersprüche ergibt sich aus der theoretischen Grundlage der Hypothese, dass dem Todestrieb „der konservative Charakter des Trieblebens“ (Freud 1930a, S. 477) eigne, sowie aus Freuds Hinweis, dass dieser konservative Charakter für eine der beiden Triebpolaritäten, nämlich für den Lebenstrieb, nicht gelte (Freud 1940a [1938], S. 71). Neben anderen Widersprüchen findet Gioia Freuds Aussage, dass der Todestrieb dem Nirwanaprinzip gehorche, während der Lebenstrieb auf der qualitativen Modifizierung des Lustprinzips (als Bindung) gründe. Diese Aussage widerspricht, so Gioia, Freuds Erkenntnis, dass das Erreichen eines der Ziele der Äußerungen des unvermischten Todestriebs (reine Zerstörung) mit einem außerordentlichen Maß an Lust einhergeht. Ausgehend von den von ihm beobachteten Widersprüchen der Freud’schen Theorie nahm Gioia die Untersuchung und Neuformulierung bis dato allgemein vertretener Theorien der Aggressivität zum Ausdruck. Die Grundthese seiner Neuformulierung besagt, dass destruktive Zustände nicht zwangsläufig das Resultat eines eindeutigen aggressiven Wunsches seien, sondern vielmehr aus dem Zusammenspiel zwischen den Existenzbedingungen und den Absichten des Subjekts hervorgehen, die vermutlich immer in erster Linie auf Befriedigung zielen (Lustprinzip) und sodann auf den Erhalt des Lebens. VI. Bb. Willy Baranger Für Willy Baranger (1977) ermöglichen Gioias Erläuterungen ein „klareres Verständnis der Fülle an schwierigen Punkten, welche die Theorie des Todestriebs enthält“ (S. 307). Sodann behauptet er, der Todetrieb sei „eines der Grundkonzepte der
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