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VI. Bd. Carlos A. Paz In seinen Kommentaren zu Gioias Artikel erkennt Carlos A. Paz (1977) an, dass es notwendig ist, psychoanalytische Theorien zu hinterfragen und über die Psychoanalyse und Psychoanalytiker der Gegenwart nachzudenken. Laut Paz wird Goias Artikel Freuds komplexem Denken in „Die endliche und die unendliche Analyse“ von 1937 nicht gerecht, erlangt der Todestrieb hier doch eine dritte Bedeutung, der zufolge er nicht länger ein Element des Konflikts ist, sondern zum „Prinzip des ‚Streites‘“ (Freud 1937c, S. 92) wird, das den Konflikt begründet und erklärt. Laut Gioia (1977) wird die Kraft von Freuds komplexem Denken hier nicht erkennbar. Paz (1977, S. 318-321) erklärt, dass Gioia Freuds Denken hier vereinfacht und verzerrt, indem er dessen Konzepte „der Mehrdimensionalität, der Ergänzungsreihen, Identifizierungen etc.“ nicht berücksichtigt. In seiner Kritik an Gioias Artikel zeigt Paz, dass die lineare und direkte Anwendung bestimmter Freud’scher Konzepte zu einer Vereinfachung führt, die sich über die Komplexität von Freuds Denken hinwegsetzt. Dies gilt inbesondere für die Beziehungen zwischen dem Über-Ich, den Identifizierungen und dem Todestrieb. Paz (1977) formuliert zwei Fragen, die für die Beurteilung von Freuds Triebtheorie relevant sind: 1) An welchem Punkt in Freuds Triebtheorie findet man Unterstützung für die eigene Aussage? 2) Und mit Bezug auf Modifizierungen: Was genau wird durch etwaige Modifizierungen modifiziert? (S. 318-321) VI. Be. Benzion Winograd Benzion Winograd (1977) nimmt in Freuds Triebtheorie zwar verschiedene Phasen und Ebenen wahr, hält sie aber im Wesentlichen für homogen und frei von konzeptuellen Widersprüchen, so dass man seiner Ansicht nach über eine einzige Theorie sprechen sollte. Die Todestriebtheorie zeichnet sich in seinen Augen durch das höchste theoretische Niveau aus und wird von ihm als Freuds umfassendste Theorie betrachtet, weil sie Phänomene zu erklären vermag, für welche die beiden vorangegangenen Theorien zu kurz griffen. Anders als Gioia nimmt Winograd an, dass Freud den Todestrieb nicht als eine autonome, notwendige und ausreichende Quelle der Aggression und Destruktivität betrachtete. Abschließend deutet Winograd unter Berufung auf das interdisziplinäre Denken Eduardo Issaharoffs (2002) an, dass bestimmte Konzepte Freuds, die von besonderem explanatorischen Wert sind, nicht auf deterministische, sondern probabilistische Weise funktionieren, was ihren Strukturierungsprozess betrifft (sie sind offen für Ereignisse und nicht a priori festgelegt). Die Konfiguration Eros-Thanatos funktioniert auf diese komplexe, nicht- prädeterminierte Weise.
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