Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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eines Instituts dessen psychoanalytische Werte spiegelt, kann man sagen, dass Nordamerika Bions Werk anerkennt, ohne es hervorzuheben. Relativ wenige nordamerikanische Psychoanalytiker würden behaupten, dass sie in erster Linie mit dem Bion’schen Ansatz arbeiten. Zudem spiegelt die Art und Weise, wie man Formulierungen wie „Bions Ansatz“ oder „Bions Theorie“ definiert, zwangsläufig die eigene Auseinandersetzung mit seinem Werk und dessen Interpretation wider – wozu Bion ausdrücklich ermuntert hat. Er hatte Los Angeles 1967 besucht und sowohl Seminare als auch Supervisionen angeboten. 1968 ließ er sich in der Stadt nieder, obwohl sein Werk in den USA kaum Einfluss ausübte. In Großbritannien hingegen war er als eine der führenden Persönlichkeiten der kleinianischen Gruppe sehr bekannt geworden. Er war Präsident der British Psychoanalytical Society gewesen, hatte aber die mit diesem Amt zwangsläufig verbundene Politik und die damit einhergehenden Schwierigkeiten verabscheut. Zudem begannen viele seiner Kolleginnen und Kollegen an seiner Loyalität gegenüber kleinianischen Konzepten zu zweifeln, als er seine neueren Überlegungen vorstellt. An Prometheus erinnert, schrieb Grotstein (2007), Bion sei aus Großbritannien „geflüchtet“: „Manche drücken es metaphorisch aus und sagen, dass ihm, bevor er nach Los Angeles kam, die Geier seine Leber herausgerissen hätten“ (S. 20). Das Problem machte sich vor allem an seinem Konzept „O“ fest – dem Symbol, das seiner Theorie der Transformationen als Ausgangspunkt diente –, das er der British Society erstmals 1963 vorstellte (Bion 1963b). Am Institut der Los Angeles Psychoanalytic Society sah Bion sich rasch an den Rand gedrängt, denn die führende nordamerikanische psychoanalytische Kultur der amerikanischen Ich-Psychologie, die kleinianischen Konzepten zutiefst abgeneigt ist, war auch hier tonangebend. Als Analytiker wurde er nur von wenigen Kandidaten und Kollegen nachgefragt. Mehrere seiner Analysanden begannen, seine Schriften an ihren Standorten bekannt zu machen; auf fruchtbaren Boden aber fielen sie erst dank der Beiträge seines Analysanden James Grotstein. Neuere nordamerikanische psychoanalytische Wörterbücher unterscheiden drei Phasen in Bions Werk: die frühe Phase, in der er die Dynamik von Gruppen erforschte, die mittlere Phase der Theoriebildung zwischen Mitte der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre und die abschließende Phase, in der er zu einer literarischen Ausdrucksform fand (Auchincloss und Samberg 2012, S. 24). Doch ebenso wie die internationale Community unterteilen die meisten nordamerikanischen Analytiker Bions Werk mit Bléandonu in vier Phasen: die frühe, präanalytische Gruppenphase, die Phase der Psychoseforschung zwischen 1950 und 1959, die erkenntnistheoretische Phase von 1962 bis 1970 und die spätere Phase mit den internationalen Seminaren, mehreren kurzen Beiträgen und einer Roman-Trilogie (Bléandonu 2008 [1994]). Bléandonu unterteilt die erkenntnistheoretische Phase chronologisch in zwei Abschnitte; dabei fällt der zweite mit Bions Buch Transformations (Bion 1997 [1965]) zusammen. International gesehen, benutzen einige Psychoanalytiker von Bions Konzepten nur jene, die vor 1963 oder 1965 entstanden; andere wiederum arbeiten mit dem Gesamtwerk. Als „der späte Bion“ wird international das Werk von Transformations

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