Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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“Wir wenden ja in der psychoanalytischen Therapie die Technik an, die Ihnen von der Traumdeutung her bekannt ist. Wir legen es dem Kranken auf, sich in einen Zustand von ruhiger Selbstbeobachtung ohne Nachdenken zu versetzen und alles mitzuteilen, was er dabei an inneren Wahrnehmungen machen kann. Gefühle, Gedanken, Erinnerungen, in der Reihenfolge, in der sie in ihm auftauchen.” (S. 297) Im Zusammenhang mit dem Widerstand (der dem Traumzensor entspricht) wiederholt Freud noch einmal die vier „Einwendungen“, die der Patient zu vermeiden hat: “Wir warnen ihn dabei ausdrücklich, irgendeinem Motiv nachzugeben, welches eine Auswahl oder Ausschließung unter den Einfällen erzielen möchte, möge es lauten, das ist zu unangenehm oder zu indiskret , um es zu sagen, oder das ist zu unwichtig , es gehört nicht hierher , oder das ist unsinnig , braucht nicht gesagt zu werden. Wir schärfen ihm ein, immer nur der Oberfläche seines Bewußtseins zu folgen, jede wie immer geartete Kritik gegen das, was er findet, zu unterlassen” (S. 297; Hervorhebg. ergänzt) Ein ums andere Mal stößt man hier auf einen weiteren Widerspruch der Psychoanalyse: Will man die Tiefen des Unbewussten ergründen, muss man der Spur auf der Oberfläche des Bewusstseins folgen. In diesen Vorlesungen erläutert Freud im Kontext der freien Assoziation und des Widerstandes: “Durch die Aufstellung dieser technischen Grundregel erreichen wir zunächst, daß sie zum Angriffspunkt des Widerstandes wird. Der Kranke sucht sich ihren Bestimmungen auf jede Art zu entwinden. Bald behauptet er, es fiele ihm nichts ein, bald, es dränge sich ihm so vieles auf, daß er nichts zu erfassen vermöge. Dann merken wir mit mißvergnügtem Erstaunen, daß er bald dieser, bald jener kritischen Einwendung nachgegeben hat“ (S. 297f.). Wenn der Patient nun (veranlasst durch seinen Widerstand) einwendet, der Analytiker könne doch unmöglich von ihm erwarten, all diese unwichtigen, törichten und peinlichen Dinge auszusprechen, so hat “man zu erklären […], daß alles sagen wirklich alles sagen bedeutet” (S. 298). II. Bc. Freie Assoziation im Kontext der Strukturtheorie (zweite Topik) Im Großen und Ganzen betrachtete Freud weiterhin alles, was den Assoziationsprozess (und die Behandlung) des Patienten stocken ließ, als eine Manifestation des Widerstands. Die Einführung der Strukturtheorie und der zweiten Angsttheorie (Freud 1923b, 1916d) ermöglichte eine im strengeren Sinn psychoanalytische Arbeit mit unbewussten Widerständen. Während die erste Theorie der Angst im Kontext der (ersten) topischen Theorie Angst als Resultat der Abwehr betrachtete, verstand die zweite Angsttheorie das Ich als den Sitz der Angst. Abwehrmechanismen, u.a. die

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