Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Tendenz zur Bindung und Steigerung des energetischen psychischen Niveaus einerseits und die Tendenz zur Aufhebung, Auflösung von Verbindungen und Reduzierung des Energieniveaus auf die „Nullebene“ andererseits. Aus den Trieben ist somit etwas von Grund auf anderes geworden als die Anforderung psychischer Arbeit infolge der Integration des Körpers in die Psyche. Sie erweisen sich nun als Prinzipien, die diese Arbeit regulieren : als zwei unterschiedliche elementare Möglichkeiten, den Anforderungen des psychischen Lebens zu begegnen. Die Triebe sind ncht länger Entitäten, sondern fundamentale Regulationsprinzipien oder, wie Freud (1933a) später in den Neuen Vorlesungen schrieb: „Die Trieblehre ist sozusagen unsere Mythologie” (S. 101). Freuds spätere Triebtheorie ist insgesamt komplexer als die erste. Der Dualismus dieser Phase (1920-1939) betrifft Eros und Todestrieb. Die Energie des Eros wird als Libido bezeichnet. Der Todestrieb verfügt über keine Energie, er ist “stumm”. Er richtet sich auf das Ich (wie im Falle des primären Masochismus) und wird später häufig in Form destruktiver Aggression nach außen abgelenkt. Für den späten Freud fusionieren Lebenstriebe und Todestrieb (mehr oder weniger); sie treten immer zusammen auf, wenngleich in veränderlichen Proportionen. An diesem Triebdualismus hat Freud bis zu seinem Lebensende festgehalten. Allerdings kann man in seinen letzten, postum veröffentlichten Schriften eine neue Interpretation erkennen. Als er sich hier erneut dem Wiederholungszwang widmete (Freud 1937c, 1940 [1938]), betonte er, dass Menschen vorwiegend frühe und somit kaum bearbeitete Erfahrungen wiederholen. Werden solche Wiederholungen stereotyp, führen sie zu nichts Neuem. Sie können aber auch eine Integrationsbewegung initiieren. In diesem Fall wird die Struktur, an die sich das Individuum bislang geklammert hat, geöffnet – zerstört –, und die frühe Erfahrung wird Teil eines größeren Ganzen. Für den sehr späten Freud kann daher Zerstörung, ausgelöst durch Wiederholung, Teil einer Integration sein. III. Abc. Von interdisziplinären Quellen zu komplexer theoretischer Mutmaßung – lateinamerikanische Perspektive In der späten Triebtheorie nähern sich Ich-Triebe und narzisstische Libido dem Punkt an, an dem sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Infolgedessen wurde die Libido von Freud als einziger Ausdruck des Trieblebens definiert. Er zweifelte daran, die Triebe auf der Grundlage des psychologischen Materials jemals vollständig erklären zu können. In Anlehnung an biologische Experimente mit einzelligen Organismen postuliert er in einer Reihe theoretischer Ableitungen, dass am konservativen Charakter des Triebes nicht zu zweifeln sei: „ Ein Trieb wäre also ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes , welchen dies Belebte unter dem Einflusse äußerer Störungskräfte aufgeben mußte, eine Art von organischer Elastizität, oder wenn man will, die Äußerung der Trägheit im organischen Leben” (Freud 1920g, S. 38; Hervorhebg. ergänzt). Die Überlegung, dass ein Trieb eine dem organischen Leben inhärente Tendenz sei, den Organismus zur Rückkehr in einen

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