Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Erinnern verhindert, weil die Übertragung ein Bündnis mit dem Widerstand eingegangen ist. Dies, so Freud, ist die Paradoxie der Übertragungsliebe: Ohne sie wird man in der Behandlung nicht weit kommen, doch gleichzeitig ist sie auch Quelle des hartnäckigsten Widerstandes: „Die Übertragung wird also das Schlachtfeld, auf welchem sich alle miteinander ringenden Kräfte treffen sollen“ (Freud 1917a, S. 472). Freud zögerte nicht, eine kriegerische Metaphorik heranzuziehen, um einen Konflikt auf Territorien zu benennen, auf denen die beteiligten Kräfte um jeden Meter kämpfen. Die Ausarbeitung des Übertragungskonzepts hängt mit der Entwicklung seiner Formulierungen des psychischen Konflikts zusammen, und beide wiederum stehen in Wechselbeziehung mit der Weiterentwicklung der zunehmend komplexen psychoanalytischen Theorie. In dem schon erwähnten Übergangstext Jenseits des Lustprinzips ergänzt Freud (1920) den Sexualtrieb (Eros) um den aggressiven Zerstörungs- und Todestrieb (Thanatos). Aus dem Konflikt der (ersten) topischen Theorie, der sich zwischen Sexualtrieb und Abwehr-/Verdrängungs- /Selbsterhaltungstrieben (Ich-Trieben) abspielte, wird ein Konflikt zwischen Trieben und Abwehr(en). Der Wiederholungszwang ist eine klinische Manifestation des aggressiven/destruktiven Thanatos. Wenige Jahre später beschreibt Freud (1923) in Das Ich und das Es und in Hemmung, Symptom und Angst (Freud 1926) den Konflikt als Widerstreit zwischen den drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich und den Anforderungen der Außenwelt: Der Konflikt spielt sich ab zwischen den Trieben im (vollständig unbewussten) Es, den Abwehrmechanismen/Verdrängung im unbewussten Ich-Anteil, der auf Signalangst reagiert, und dem Über-Ich als dem Erben des Ödipuskomplexes mit seinen weitgehend unbewussten Selbstbestrafungstendenzen und Ich-Ideal-Anteilen. Da die dem Es entstammende Aggression die Selbstbestrafungskomponente des Über-Ichs stärkt, setzen Es und Über-Ich das Ich von zwei Seiten aus unter Druck. Dies kann im Übertragungswiderstand Ausdruck finden, der folglich mit der Herrschaft des Es, aber auch mit dem inneren, vom Über-Ich unternommenen Angriff zusammenhängt. Dieser Angriff liegt der von Freud (1923) so genannten „negativen therapeutischen Reaktion“ zugrunde, der Verschlechterung des Befindens im Laufe der Behandlung. Hier wird die Übertragung zum Träger eines „Zuviel“ und einer Destruktivität , die später von Autoren wie André Green in „The Work of the Negative“ (Green 1993) sowie J.-B. Pontalis in „On the basis of counter- transference: the dead and the living interwined“ (Pontalis 1975) und in „No, Twice no“ (Pontalis 1979) erforscht wurden. Die zentrale Rolle, die der Wiederholung des Verdrängten in der Übertragung zukommt, kann nicht auf gelebte Erfahrungen begrenzt werden, denn sie betrifft die psychische Realität, die aus unbewussten Wünschen und den an sie geknüpften Phantasien besteht – letztere sind „unzerstörbar“, während die Wiederholung in der Übertragung die Vorrangstellung rechtfertigt, die dem bereits in Jenseits des Lustprinzips (Freud 1920) definierten Wiederholungszwang beigelegt wurde.
951
Made with FlippingBook - Online magazine maker