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Typische Träume von geliebten toten Menschen und Angstträume, in denen der Zensor überwältigt wird, sind paradigmatische Beispiele für die Präsenz der Tragödie. Insbesondere Albträume zeigen, dass die Mechanismen der Traumarbeit ihre Funktion, den Schlaf zu hüten, nicht erfüllt haben. So konnten die tragischen Inhalte ins Bewusstsein durchbrechen und den Schlaf stören. In der Übertragung mach sich der Widerstand die Präsenz der tragischen Inhalte zunutze, um die Durchführung der analytischen Aufgabe zu stören. Gefühle, so Freud, resultieren aus tragischen, ins Bewusstsein durchbrechenden Inhalten. Wenn wir dem inzestuösen Mörder, den jeder im tiefen Innern in sich trägt, begegnen, tauchen daher Entsetzen und selbstbestrafende Verhaltensweisen auf. Infolgedessen sind wir im Laufe einer analytischen Behandlung in der Übertragung mit Inhalten konfrontiert, die aus dem Konflikt zwischen Wunsch und Verbot hervorgehen, sowie mit Manifestationen, deren Quelle das Untergegangene ist. Mit dem Untergang des Ödipuskomplexes wird dieser partiell verdrängt und partiell begraben. Bei neurotischen Patienten aber ist keiner dieser Prozesse wirklich erfolgreich verlaufen: Symptome und Vorkommnisse, in denen die begrabenen Aspekte (inzestuöse und elternmörderische Triebstrebungen) werden manifest und treten tendenziell zutage. Je schwerer die Symptomatik, desto präsenter sind zumeist auch die untergegangenen Elemente. Dies sind die zwei Aspekte der Übertragung: Der Aspekt des Verdrängten mit den für die Übertragungsneurose typischen Symptomen und der Aspekt der Tragödie, der wiederum durch den Wiederholungszwang verursacht wird. Im Kern des Komplexes, den jedes Individuum mit seinem eigenen Maß an Liebe und Hass erlebt und dem durch Verbote Grenzen gesetzt werden, findet sich die Tragödie, deren Matrix Teil des Menschseins ist. Sie wird von jedem Kind in der Phase der Omnipotenz wiederbelebt. Freud erläutert die Beziehung zwischen der Ödipus als Tragödie und Hamlet als Charakterdrama und fundiert eine Theorie, deren Zentrum der Wiederholungszwang bildet. Diesen bezeichnet er kurze Zeit später als den Widerstand des Es, der vom Todestrieb gesteuert wird. Dieses Konzept bringt eine wichtige theoretische Veränderung mit sich. Der Zwang zur Abfuhr – Destruktionstrieb – bleibt während der Behandlung latent und bemächtigt sich des Übertragungsschauplatzes mit maximalem Widerstand. Der Analytiker nimmt einen aktiven Widerstand wahr, der vom unbewussten Ich ausgeht und sich gegen die Bearbeitung des Verdrängten richtet. Das bewusste Ich verleugnet diesen Widerstand. Das Verdrängte wird vom Ich durch die Widerstände der Verdrängung abgetrennt, kann ihm aber durch das Es mitgeteilt werden. Freuds Abhandlungen Das Ich und das Es (1923) sowie Jenseits des Lustprinzips (1920) kontextualisieren das Ich als den Repräsentanten der Vernunft und Besonnenheit, während die Leidenschaften (Triebe) im Es herrschen und aus ihm ausbrechen können.
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