Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Der Widerstand gegen die analytische Arbeit, von Freud in seinen vor 1920 verfassten metapsychologischen Schriften erörtert, erhält in Jenseits des Lustprinzips zentralen Stellenwert, denn hier nimmt das klinische Phänomen des Wiederholungszwangs triebähnliche Eigenschaften an. Der Wiederholungszwang verlangt, das Bestrafungsbedürfnis des Ichs, ein Resultat des tragischen Verschuldens, das mit den verbotenen ödipalen Aktionen zusammenhängt, zu denen das Subjekt gedrängt wird, während es gleichzeitig von den Über-Ich-Anforderungen gequält wird, zu bekämpfen. Wenn sich das Ich mit starker masochistischer Lust einem unbarmherzigen Über-Ich unterwirft, kann die Analyse gefährdet sein. Selbst wenn der Analytiker einen gewissen Fortschritt zu erkennen glaubt, wird eine negative therapeutische Reaktion auftauchen und zu Übertragungsmanifestationen auf der neurotischen Ebene führen, die gedeutet werden müssen. Manifestationen einer tragischen Übertragung (ödipale Tragödie, persönliche Vorgeschichte) wie Angst oder Lethargie hängen mit verschüttetem Material zusammen und erfordern eine Konstruktion des Aktes im „Jetzt“. Das verschüttete tragische Material kann sich durch ein neues Trauma selbst aktivieren und eine Abfuhr im Somatischen herbeiführen, denn das Ich ist in erster Linie ein körperliches (Freud 1923). Durch die Linse dieser theoretischen Entwicklungen betrachtet, die Freud in Jenseits des Lustprinzips sowie in Das Ich und das Es ausarbeitet, gibt sich die mörderische Bestrafung des Ichs durch das Über-Ich, bestärkt durch den Todestrieb des Es, auf unterschiedliche Weise sowohl in der „Schicksalstragödie“ des Ödipus als auch in Hamlets Agonie zu erkennen. Freuds Einführung der zweiten Topik/Strukturtheorie markiert eine bedeutsame Veränderung, was die Dynamik der Übertragung betrifft. Wurde zuvor der Wunsch als ihre Antriebskraft betrachtet, so zeigt sich nun eine unauflösliche Verbindung mit dem Wiederholungszwang und dem Bereich des Handelns, der Abfuhr. Zu beachten ist, dass Freuds Beiträge zur Technik 1918 abgeschlossen waren, also vor der Einführung der zweiten Topik. Erst 1937 wendet er sich den technischen Problemen, die aus der Einführung des Wiederholungszwangs und des Todestriebs resultierten, in „Die endliche und die unendliche Analyse“ (Freud 1937a) sowie in „Konstruktionen in der Analyse“ (Freud 1937b) erneut zu und geht dabei insbesondere auf Ferenczis (1909) Konzept der negativen Übertragung ein. Mit den in Jenseits des Lustprinzips (Freud 1920) formulierten Entwicklungen und insbesondere mit der Einführung der Todestriebtheorie besagt Freud, dass in der Übertragungsszene aufgrund des Drängens des Wiederholungszwangs etwas agiert wird, das aus einem Bereich jenseits des Verdrängten stammt: etwas, das erlebt wurde und sich nun in Form von Gefühlen und Wahrnehmungen äußert. Diese Gefühle und Wahrnehmungen aber wurden nicht verdrängt, weil sie nicht artikuliert wurden; sie wurden nicht in Worte gefasst.

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