Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Zugang zu den tieferen Schichten des Seelenlebens zu finden. Freilich treten positive und negative Übertragungen immer in Kombination auf. Klein betont die Rolle der unbewussten Phantasie im Hier und Jetzt der Sitzung. „Reale“ Vorgänge müssen, so ihre Ansicht, stets in ihrer Interaktion mit dem unbewussten Phantasieleben des Patienten untersucht werden. Kleins (und Susan Isaacs) Definition der unbewussten Phantasie stand im Zentrum der „Kontroversen Diskussionen“, die in den 1940er Jahren in der britischen psychoanalytischen Gesellschaft ausgetragen wurden. Elizabeth Bott Spillius und Ron Britton führen die Intensität der Debatte auch darauf zurück, dass die Beteiligten für unterschiedliche Konzepte dieselben Begriffe verwendeten. Der kleinianischen Sicht zufolge umfasst die unbewusste Phantasie jegliche frühe Form des infantilen Denkens – sie ist die Hauptquelle der unbewussten Psyche und der psychische Repräsentant der Triebe, umfasst aber auch andere Formen des Denkens, die erst später, durch Weiterentwicklung der ursprünglichen Phantasien, auftauchen. Die Übertragung ist, so gesehen, die unbewusste Erfahrung im Hier und Jetzt, eingetragen in die infantilen Mechanismen, mit deren Hilfe der Patient seine Konflikte vor langer Zeit zu bewältigen versuchte. Die unbewusste Phantasie beeinflusst und färbt das Realitätserleben und umgekehrt. Melanie Klein empfiehlt Deutungen, die auf die unbewusste Phantasie abheben und nicht auf Triebe und entsprechende Abwehrvorgänge. Infolgedessen deutete sie konsequent in der Übertragung , statt die Übertragung an sich zu deuten: „Man kann dem Patienten zeigen, dass er eine Beziehung erlebt, die Angst oder Schuldgefühle weckt, und dass er sie in seiner Phantasie verändert, um Unlust zu vermeiden“ (Segal 1979). Klein fokussiert also auf die Ängste des Patienten und auf seine Beziehungen zu Objekten in der Vergangenheit und in der Gegenwart sowie auf die Erfahrungen, die er in der Zwischenzeit gemacht hatte. Sie bezeichnet dies als die Gesamtsituation , welche sämtliche in der Analysesitzung berichteten Aspekte des früheren und gegenwärtigen Erlebens des Patienten und seiner früheren und gegenwärtigen Phantasien umfasst: „So gewähren uns beispielsweise die Berichte der Patienten über ihr tägliches Leben, über ihre Beziehungen und Aktivitäten nicht nur Einblick in die Funktionsweisen ihres Ichs; wenn wir den unbewussten Inhalt erforschen, geben sie darüber hinaus auch die Abwehrmechanismen zu erkennen, die in der Übertragungssituation geweckt werden“ (Klein 2000 [1952], S. 93). Klein nimmt an, dass jegliches Material, das frei assoziierend produziert wird, etwas über die (unbewusst) abgespaltenen Anteile der Beziehung zum Analytiker aussagt. Donald Meltzer (1986) zufolge besteht die Aufgabe des Analytikers darin, die Übertragung aus der Vielzahl der möglichen Darstellungen der Beziehung zum Analytiker zu bündeln: „Die infantile Übertragung taucht nach und nach im Material auf, und zwar in Form eines ‚acting-in‘ oder ‚acting-out‘ von Erinnerungen oder Träumen, deren Anerkennung und Untersuchung den analytischen Prozess in Gang bringt“. Betty Joseph (1985) unterstreicht die Bedeutsamkeit der „Gesamtsituation“ als Möglichkeit, bewusste und unbewusste Gedanken und Gefühle in der Übertragungsbeziehung zum

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