Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Entwicklungserfahrungen als auch hinsichtlich der behandlungstechnischen Implikationen. Loewald, ein Ich-Psychologe, der seine Hauptschriften in den 1970er und 1980er Jahren verfasste, überbrückte diese Kluft (eine Beziehung versus die Übertragung des Patienten / die Übertragung des Patienten und die des Analytikers), indem er eine etwas anders gelagerte Synthese von Triebtheorie und Objektbeziehungstheorie formulierte. Nachdrücklich betonte Loewald, dass die Triebtheorie keine „biologische“, sondern eine „psychologische“ Theorie sei. Loewald, der auch Philosoph war und u.a. Heidegger zu seinen Lehrern zählte, erkannte „die unentwirrbare Wechselbeziehung zwischen dem, was wir Subjekt und Objekt nennen“ (Loewald 1986 [1970], S. 283). Dies stand im Einklang mit der philosophischen postmodernen Dekonstruktion wissenschaftlicher Objektivität, einem intellektuellen Trend, der schließlich das gesamte Feld der Psychoanalyse und insbesondere die relationale Schule (siehe unten) beeinflusste. Loewald vertrat die entwicklungspsychologische Auffassung, „dass Objektbeziehungen nicht nur regulierende, sondern bedeutsame konstituierende Faktoren der psychischen Strukturbildung“ seien und dass „der psychoanalytische Prozess und ein vertieftes Verständnis für […] frühe Entwicklungsvorgänge den interaktionellen Ursprung und das Wesen der psychischen Realität aufdecken“ (ebd., S. 295).In seinem Beitrag „ Die Übertragungsneurose“ (Loewald 1986 [1968]) unterstrich er die zentrale Bedeutung der ödipalen Situation und beschrieb den analytischen Prozess in erweitertem Sinn als eine gemeinsam geschaffene Szene aus „Übertragung und Gegenübertragung“. Mithin verstand er als „die Übertragung“ – oftmals im Singular benutzt – auch die zahlreichen einflussreichen Übertragungsgestalten, die in der Erziehung des Kindes enkodiert werden und sich in seine Psyche einschreiben – einschließlich seiner Wahrnehmung der emotionalen Beziehungen seiner Betreuungspersonen zueinander. Sie alle werden internalisiert und dann später, in der Analyse, auf verbale und nonverbale Weise re-externalisiert. Loewald zeigte eine Analogie auf zwischen der analytischen Situation mitsamt den emergenten Übertragungen und Gegenübertragungen einerseits und einem Bühnenstück andererseits. Der Analytiker ist am Verfassen des Drehbuchs beteiligt. Mit zunehmender Autonomie des Analysanden kann dieser das Manuskript auch eigenständig deuten (Loewald 1986 [1975]). VI. B. Heinrich Rackers Einfluss und die Erweiterung des Konzepts in Nordamerika Während die Ich-Psychologie einen Großteil der Psychoanalyse Nordamerikas dominierte, fanden die bahnbrechenden Untersuchungen des Argentiniers Heinrich Racker über die Gegenübertragung in der nordamerikanischen interpersonalen Schule Harry Stack Sullivans freundliche Aufnehme. Racker betonte in seinen frühen Veröffentlichungen (1953, 1957, 1958b) nicht allein die Ubiquität der

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