Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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nach einem potentiell einschränkenden Rezept vorzugehen, das sich aus dem vom Analytiker präferierten Entwicklungsschema herleitet“ (S. 644). Ellman und Moskowitz (2008) erörtern den repetitiven Charakter der Übertragung mit ihrem Verständnis der Behandlung als fortlaufende Übertragungszyklen, die um analytisches Vertrauen, wahres Selbst, Konflikte und Objektbeziehungen kreisen: „[…] jeder neue Zyklus führt eine zumindest partielle Erneuerung des analytischen Vertrauens mit sich. Dieses Vertrauen ist bi-direktional; das Vertrauen, das der Analytiker dem Patienten entgegenbringt, bedeutet, dass er ihm hilft oder beisteht, wenn dieser seine eigene Stimme zu finden versucht und die Realität auf die ihm eigene Weise konstruiert. So wird Realität als Konstrukt erlebt […]. Gleichwohl werden die Konflikte und das wahre Selbst des Patienten im Wesentlichen im Patienten verortet. Wie die Interaktion konstruiert wird, hängt von dem jeweiligen analytischen Paar ab. Wir glauben aber, dass es ein wahres Selbst gibt, welches keine Konstruktion ist […]. Jeder Übertragungszyklus bringt einen neuen Aspekt einer Objektbeziehung hervor, in der das Vertrauen aus zwei verschiedenen Richtungen gestärkt wird. Zu Anfang begibt sich der Analytiker in die Welt des Patienten hinein; sobald eine natürliche Separation erfolgt ist und toleriert werden kann, beginnen beide Partner, ihre jeweilige Sicht der Übertragung in Worte zu fassen. Den Anderen benutzen zu können ist unserer Meinung nach ein entscheidender Aspekt hilfreicher Einsichten in der analytischen Situation“ (S. 825). VI. D. Deutungsfokus: Übertragungsdeutungen vs. Deutungen außerhalb der Übertragung Wie schon einleitend erwähnt, hat man sich die Frage gestellt, inwieweit die Übertragungsanalyse die einzige effektive Form der Deutung sei; damit verbunden ist eine weitere Frage, nämlich die, ob der Analytiker seine Deutungsaktivität ausschließlich auf Interventionen beschränken sollte, die einen Bezug zur Übertragung haben. Während heute nur eine Minderheit der nordamerikanischen Analytiker die Übertragungsdeutung für das effektivste therapeutische Instrument hält, hat die Mehrheit den Eindruck, dass es zahlreiche Probleme im Leben der Patienten gibt, die die Aufmerksamkeit des Analytikers auf sich ziehen können, weil sie in den Kommunikationen der Sitzung affektiv vorherrschen und mit der Übertragung zusammenhängen. Infolgedessen stehen diese Analytiker auf dem Standpunkt, dass die auf diese „Beziehung außerhalb der Übertragung“ fokussierende Deutung des entsprechenden unbewussten Konflikts hilfreich sein kann, weil der vorherrschende Affekt ebendort lokalisiert ist. Allerdings sind gravierende pathogene unbewusste Konflikte gewöhnlich in charakterologischen Abwehrstrukturen verankert, die sich in der Übertragung als Widerstände manifestieren. Deshalb wird die systematische Analyse der Übertragung weithin als wesentlicher, wenn auch nicht exklusiver Fokus der Deutungsaktivität des Analytikers betrachtet.

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