Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Der kleinianische Ansatz tendierte seit jeher dazu, die systematische Übertragungsanalyse auszuweiten. Dieser Trend ist heute auch in den ich- psychologischen sowie den relationalen Schulen zu verzeichnen. Die französische Psychoanalyse misst diesem Aspekt ebenfalls wachsende Bedeutung bei. VI. E. Objektbeziehungstheoretische Ansätze – weiterentwickelte und archaische Übertragungskonfigurationen Auch das Verständnis der Übertragungsregression hat sich von den späteren, weiterentwickelten ödipalen Übertragungen auf die Konzeptualisierung primitiver, früher, archaischer, im Zeichen von Objektbeziehungen stehender Übertragungen verlagert. Ödipale und prä-ödipale Konflikte treten gewöhnlich in verdichteter Form in regressiven Übertragungen auf, bei denen aggressive Entwicklungen dominieren; bei weniger regressiven Übertragungen sind hingegen eine klarere Differenzierung der Entwicklungsstufen und eine Dominanz infantiler sexueller Konflikte zu erkennen. Die moderne Objektbeziehungstheorie hat das Verständnis identifikatorischer und projektiver Aspekte der Übertragungsentwicklungen, die sich zum Beispiel in der Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen beobachten lassen, präzisiert und bereichert. Im Falle der neurotischen Persönlichkeitsorganisation hängen die vorherrschenden Inszenierungen in den Übertragungs- Gegenübertragungsbeziehungen, die sich im Laufe der Behandlung entwickeln, damit zusammen, dass der Patient sich mit einem Aspekt seines infantilen Selbst identifiziert und die entsprechende Objektrepräsentation gleichzeitig auf den Analytiker projiziert. Diese Enactment können auch umgekehrt werden, so dass sich der Patient mit der Objektrepräsentation identifiziert und die entsprechende Selbstrepräsentation auf den Analytiker projiziert; diese Umkehrungen treten normalerweise seltener auf. Bei schweren Psychopathologien hingegen sind sie häufig zu beobachten; das ständige Alternieren der Selbst- und der Objektrepräsentationen ist hier tatsächlich die Regel und verleiht den Übertragungsentwicklungen einen scheinbar chaotischen Charakter (Kernberg, Yeomans, Clarkin und Levy 2008). Zudem ergeben sich in diesen Fällen weitere Schwierigkeiten: Die reziproke Aktivierung des grandiosen Selbst des Patienten und der Repräsentation seines entwerteten Selbst als dominante Objektbeziehungspathologie in den Übertragungsmanifestationen der narzisstischen Pathologie; und die Regression auf symbiotische Beziehungen, in denen der Patient keinerlei Meinungsunterschiede und Schwankungen in der Beziehung zum Analytiker tolerieren kann und sämtliche Triangulierungen als unerträglich traumatische Situationen erlebt. Die Deutung und das Durcharbeiten dieser primitiven Übertragungsregressionen kann in diesen Fällen zum vorherrschenden therapeutischen Element werden.

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