Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Veränderungen seiner eigenen Selbstzustände wie auch der Selbstzustände des Patienten abstimmt und dieses Gewahrsein relational verwendet, fördert er die Fähigkeit des Patienten, in einem einzelnen interpersonalen Kontext das Echo seiner anderen Selbst zu hören, die alternative, zuvor inkompatible Realitäten in Worte fassen“ (S. 13). VI. G. Selbstpsychologische Perspektiven: Kohut und die moderne Selbstpsychologie Das selbstpsychologische Übertragungsverständnis unterscheidet sich von anderen theoretischen Auffassungen insofern, als es einen Entwicklungspfad des Narzissmus zugrunde legt, der getrennt von dem der Objektbeziehungen verläuft. Es setzt zudem eine erweiterte Theorie der Psyche (Sheldrake 2012) voraus, so dass „die Andere“ oder der Analytiker anders als unter dem Blickwinkel einer Zwei-Personen-Psychologie nicht als getrennt vom Patienten betrachtet wird, sondern als ein notwendiger Teil des Patienten oder als „Selbstobjekt“. Unter diesem Blickwinkel gesehen, werden keine psychischen Anteile auf den Analytiker als Übertragungsfigur übertragen oder „projiziert“. Vielmehr hat er Teil an der laufenden Analyse und an der Weiterentwicklung des Selbst (Kohut 1971). Angefangen mit dem ersten Augenblick der Selbstentwicklung, der Entstehung und Wahrnehmung eines kohärenten Selbst (Kohut 1971), bis zu den in ständiger Veränderung begriffenen Eigenschaften des Selbst lassen sich die dualen Selbstaspekte gemäß den Modifizierungen der Ambition und der Idealisierung beobachten (siehe den Eintrag SELBST). Deshalb richten sich die Übertragungen oder Selbstobjekt- Realisationen auf einen Analytiker, der die Integration des Selbst unterstützt, indem er sich als spiegelndes Selbstobjekt, als Zwillings-Selbstobjekt oder als idealisiertes Selbstobjekt zur Verfügung stellt. Die Übertragungen vollziehen den Entwicklungspfad des Narzissmus in seinen normalen wie auch pathologischen Aspekten nach. Übertragungsdeutungen ermöglichen es, dass pathologische Spiegelung sich in Stolz verändern und idealisierende Übertragungen als Begeisterungsfähigkeit integriert werden können. Es ist wichtig festzuhalten, dass die erweiterte Theorie der Psyche nie eine isolierte Person postuliert, sondern eine lebenslange Verwendung anderer Menschen als Selbstobjekte, die Spiegelungs- und Idealisierungsbedürfnisse unterstützen. Man ist nie frei von Selbstobjekten. Dies stimmt mit der Tatsache überein, dass alle Übertragungen, Selbstobjekt-Übertragungen inbegriffen, ubiquitär und universal sind.

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