Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Racker zufolge steht die Analyse der Übertragungsneurose im Mittelpunkt der analytischen Therapie. Die Übertragung ist Widerstand und zugleich dasjenige, dem der Widerstand gilt; das heißt, der Analysand wiederholt seine infantile Abwehr (die den Übertragungswiderstand konstituiert), um bestimmte infantile Angstsituationen, die in der Übertragung aufzutauchen drohen, nicht bewusst werden zu lassen. Widerstände gegen die Bewusstwerdung hängen, so Racker, nicht mit tatsächlichen Vorkommnissen zusammen, sondern mit etwas, das nie Vergangenheit geworden ist und deshalb in der Gegenwart nicht wiedererlebt werden kann. Hier beschrieb Racker das, was keine Inschrift erfahren hat und infolgedessen in der Gegenwart fortbesteht. „Jede Erinnerung“, so schreibt er, „repräsentiert gleichzeitig eine bestimmte Übertragungsbeziehung und jede Weigerung, sich zu erinnern, repräsentiert eine Ablehnung einer bestimmten Übertragungsbeziehung“ (Racker 1958, S. 63). Um den aus der Gegenübertragung hervorgehenden Widerstand zu postulierten, verweist Racker auf Freuds Aussage, der Analytiker hoffe, dass der Patient das Verdrängte nicht in der Übertragung als Gegenwärtiges wiederhole, sondern es als Vergangenheit erinnere. Übertragung und Gegenübertragung bilden in Rackers Theorie zwei Bestandteile einer Einheit, die sich gegenseitig aufrechterhalten. In der Gegenübertragung unterscheidet er zwischen der Reaktion des Analytikers auf eine manifeste Übertragung und einer weiteren Reaktion auf eine potentielle, latente Übertragung, die verdrängt wurde und blockiert ist. Die Gegenübertragung ist Ausdruck der Beziehung des Analysanden zu seinen inneren und äußeren Objekten und konstituiert darüber hinaus eine reale Erfahrung. Aus diesem Grund ist es wichtig, sie zu berücksichtigen (siehe den Eintrag GEGENÜBERTRAGUNG). Wenn der Analytiker auf eine negative bzw. eine sexuelle Übertragung mit einer negativen bzw. sexuellen Gegenübertragung reagiert, macht er es dem Analysanden unmöglich, ihn als „gutes Objekt“, das von Angst und Wut frei ist, zu introjizieren. Andererseits ermöglicht die positive Gegenübertragung es dem Analytiker, sich mit dem Ich und dem Es des Analysanden zu identifizieren. Aus ebendiesem Grund spricht sich Racker für die grundsätzliche Analyse und Auflösung der Gegenübertragung aus. Angst in der Gegenübertragung dient dem Analytiker stets als Orientierungshilfe. Ihre Intensität kann variieren von Spannungszuständen bis zu Angstattacken mit paranoidem oder depressivem Inhalt. Angst vor einer anderen Meinung des Analysanden und die daraus resultierende Frustration können den eigenen Masochismus des Analytikers oder eine andere Art des Widerstands stärken, zum Beispiel intensive sexuelle Gefühle, die wiederum durch das unbewusste Material des Analysanden hervorgerufen werden. Racker betont zwar, dass der Analytiker seine Gegenübertragung gegenüber dem Patienten nicht offenlegen soll, hält es aber für zulässig, sie in die Deutung einzubeziehen, zum Beispiel durch die vorübergehende Übernahme der vom Analysanden induzierten Rolle und die anschließende Analyse des Geschehens. Der

980

Made with FlippingBook - Online magazine maker