Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Analytiker muss ein Agieren vermeiden, aber bei bestimmten Patienten, die die Grundregel (Sprechen statt Handeln) als Widerstand missbrauchen, um die Deutung wirkungslos zu machen, dient auch das Agieren des Analytikers als Deutung. Racker spricht jedoch den warnenden Hinweis aus, dass diese Technik ausschließlich von sehr erfahrenen Analytikern angewendet werden dürfe. Er betont insbesondere die wichtige Funktion der Deutung und die Konzentration auf die Gegenübertragungsneurose, deren Kern der Ödipuskomplex (in seiner positiven und negativen Form) bildet. Er erläutert, dass der Analytiker ein Objekt der Triebstrebungen ist und seine Wahrnehmung dadurch verzerrt werden kann; wenn seine neurotische Reaktion hinzukommt, wird er in seiner Deutungsfähigkeit beeinträchtigt. Zudem übt die neurotische Gegenübertragung einen Einfluss auf die Übertragung des Analysanden aus. Der an der Gegenübertragung beteiligte Ödipuskomplex veranlasst den Analytiker, seine Elternobjekte auf den Analysanden zu projizieren und sowohl die negativen als auch die positiven Aspekte zu wiederholten. So können zum Beispiel ein Rivalisieren mit dem Partner/der Partnerin des Analysanden, Eifersucht und entsprechende Phantasien auftauchen. Racker beschreibt diese Konzepte und geht dabei auch auf die Ausbildung von Analytikern ein. Er beruft sich auf folgende Aussage, die Freud (1937) in „Die endliche und die unendliche Analyse“ formulierte: „[Die Eigenanalyse] allein würde als Unterweisung nicht ausreichen, allein man rechnet darauf, dass die in der Eigenanalyse erhaltenen Anregungen mit deren Aufhören nicht zu Ende kommen, dass die Prozesse der Ichumarbeitung sich spontan beim Analysierten fortsetzen und alle weiteren Erfahrungen in dem neu erworbenen Sinn verwenden werden. Das geschieht auch wirklich, und soweit es geschieht, macht es den Analysierten tauglich zum Analytiker“ (S. 95). Racker weist auch darauf hin, dass die Unfähigkeit, den Patienten „loszulassen“, und das Widerstreben, ihn zu heilen, aber auch der sexuelle Neid, der den Analytiker womöglich zum Agieren drängt, Gefahren darstellen, die der Entwicklung des Analysanden alles andere als zuträglich sind. Er betont, dass der Analytiker sein „persönliches Gleichgewicht“ kennen müsse, um der Gefahr vorzubeugen, seine eigene Neurose im Patienten zu induzieren (sie ihm zu „transplantieren“, wie er es nennt). Ein Mythos der analytischen Situation ist der angst- und wutfreie Analytiker. Dieser Mythos entspricht laut Racker den Idealen, die für die Zwangsneurose charakteristisch sind und die einer psychischen Blockade sowie der Verdrängung Vorschub leisten können. Objektivität im eigentlichen Sinn bedeutet hingegen, dass der Analytiker seine eigene Subjektivität oder Gegenübertragung als Gegenstand kontinuierlicher Beobachtung und Analyse begreift. Racker beschreibt die konkordanten Identifizierungen des Analytikers mit dem Analysanden: Sein Es identifiziert sich mit dessen Es, sein Ich mit dessen Ich und sein Über-Ich mit dem Über-Ich des Analysanden. Er unterschiedet diese konkordanten Identifizierungen von den komplementären, die mit den Objekten des Analysanden

981

Made with FlippingBook - Online magazine maker