Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Vorstellungen auf vorbewusste Repräsentationen. Die zweite wurde von Freud im Fallbericht über „Dora“ formuliert und bezeichnet die Übertragung auf die Person des Analytikers: „Was sind die Übertragungen? Es sind Neuauflagen, Nachbildungen von den Regungen und Phantasien, die während des Vordringens der Analyse erweckt und bewusst gemacht werden sollen, mit einer für die Gattung charakteristischen Ersetzung einer früheren Person durch die Person des Arztes. Um es anders zu sagen: eine ganze Reihe früherer psychischer Erlebnisse wird nicht als vergangen, sondern als aktuelle Beziehung zur Person des Arztes wieder lebendig“ (Freud 1905, S. 279). Die erste Variante der Übertragung findet sich im Diskurs des Analysanden, in seinen freien Assoziationen, die dank des besonderen Charakters des analytischen Zuhörens weit mehr aussagen, als es auf der manifesten Ebene den Anschein hat: Als Analytiker hören wir den latenten Diskurs in den Worten, die der Analysand wählt, ebenso wie im Traum die verdrängte Vorstellung transformiert und durch Bilder wiedergegeben wird – Gedanken primitiver Art. Cesio misst der Gegenübertragung besonderes Gewicht bei. Sie gibt den Beitrag des Analytikers zu erkennen, der zusammen mit dem Analysanden ein untrennbares Paar in dem Prozess, der sich in der Sitzung entfaltet, bildet. Beide Mitglieder arbeiten in einem abstinenten Setting, ohne das die Analysestunde nicht stattfinden könnte. Sowohl die Übertragung als auch die Gegenübertragung können sich – da sie Widerstände sind - gegen die Behandlung wenden, sofern sie nicht bewusst gemacht und dann als wichtige Analyseinstrumente benutzt werden. Cesio betonte das Konzept des „Aktualen“ und schrieb ein Buch darüber (Cesio 2010). Er betrachtet die Sitzung unter dem Blickwinkel der Traumtheorie. Infolgedessen ist er der Ansicht, dass der Analytiker als Tagesrest fungiert: Indem er die Eigenschaften des noch nicht lange Zurückliegenden und des Gleichgültigen annimmt, kann er die vom Patienten auf ihn übertragenen inneren Objekte annehmen. Seine Art des Zuhörens verleiht den Worten des Patienten den Stellenwert „freier Assoziationen“. Durch intrapsychische Übertragung verraten diese Worte die emotionale Erfahrung der Sitzung. Die Abstinenz, in der sich die Analyse entwickelt, erstreckt sich auch auf jegliche direkte sexuelle Aktivität. Diese ist mit einem Tabu belegt, das heißt, sie ist inzestuös. Wenn die Analyse voranschreitet, tauchen psychische Erfahrungen auf, die durch ihre „Aktualität“, ihre Zeitlosigkeit, charakterisiert sind und eine ewige Gegenwart konstituieren, ein „Jetzt“, das mit großer Entschiedenheit nach unmöglicher Befriedigung verlangt. Der Analytiker tritt an die Stelle des Über-Ichs – des Elternpaares -, und die zuvor verdrängten inzestuösen Strömungen finden nun Ausdruck in der unbewussten Beziehung des Patienten zum Analytiker und prägen die grundlegende Übertragung. Cesio hält an dieser Parallele zur Traumarbeit fest und erläutert, dass die Sitzung ohne die Intervention des Analytikers zu einem Angsttraum und womöglich zu einem Albtraum würde, der den Prozess vereitelt. Die ödipale Tragödie endet mit dem Abbruch des analytischen Prozesses. Aus diesem Grund hilft uns das Verständnis der

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