Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Die Hypothese lautet, dass die Übertragungsliebe ins Bewusstsein gelangen kann, wenn die Interpretation-Konstruktion zum richtigen Zeitpunkt erfolgt. Dann kann eine gründliche Analyse die Übertragung auflösen, indem sie ihre unbewussten emotionalen Komponenten bindet. Das Aktualdrama trägt also den Charakter einer Wiederholung infantiler Erfahrungen, mit denen es nun zeitlich und historisch eingeordnet werden kann. Die Einsicht, dass diese Erinnerungen ein Wiedererleben – diesmal mit dem Analytiker – sind, ermöglicht es, die Libido von diesen primären, inzestuösen, tragischen Fixierungen zu befreien und sie durch die Bedeutungen, die sie erhält, in eine sekundäre ödipale Struktur zu kanalisieren, die durchgearbeitet werden kann. Das Konzept der Aktualübertragung ist ein Beitrag zur analytischen Technik, weil es den therapeutischen Anwendungsbereich der Psychoanalyse erweitert. Es ermöglicht die Behandlung der sogenannten „Aktualstörungen“ – die neue Bezeichnung der Aktualneurosen –, der Lethargie und der negativen therapeutischen Reaktion. Die Analyse dieser „Aktualmanifestationen“ ist ungemein schwierig, weil ihre Untersuchung voraussetzt, auf Konzepte wie Todestriebe, Wiederholung, Trauma und Übertragung auf die Person des Analytikers zu rekurrieren, die bei Analytikern starke Widerstände wecken, aber die Möglichkeit mit sich bringen, das Feld der Psychoanalyse auf die Aktual- und die somatischen Manifestationen zu erweitern. Letztere werden häufig ausschließlich medikamentös behandelt, weil viele Analytiker glauben, dass sie in den Bereich der klinischen oder psychiatrischen Praxis, nicht aber der Psychoanalyse, fallen. VII. Ac. R. Horacio Etchegoyen Ausgehend von Freud definiert Etchegoyen die Übertragung als das Gegenteil von Erfahrung. Die Prototypen oder Klischees werden durch zwei Arten von Triebstrebungen gebildet: durch bewusste Impulse, die es dem Ich ermöglichen, aktuelle Umstände mithilfe der Modelle der Vergangenheit und innerhalb des Realitätsprinzips zu verstehen (Erfahrung), und durch unbewusste, die dem Lustprinzip gehorchen und im Streben nach Befriedigung, Abfuhr, die Gegenwart mit der Vergangenheit verwechseln (Übertragung). Er betont den Widerholungsaspekt der Übertragung, der auf den Todestrieb zurückzuführen ist, und den Widerstand gegen die Übertragung, den das Lustprinzip, die Libido, mobilisiert. Was die Gegenübertragung anlangt, so weist Etchegoyen darauf hin, dass Heinrich Racker in Argentinien (und zur gleichen Zeit Paula Heimann in London) die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Gegenübertragung als nützliches, sensibles Instrument lenkte.

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