Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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in denen die Unterscheidung zwischen Gegenwart und Vergangenheit verloren geht. „Die Übertragung ist eine ungewöhnliche Objektbeziehung mit einer infantilen Wurzel, unbewusster Natur (Primärvorgang) und deshalb irrational. Sie verwechselt die Vergangenheit mit der Gegenwart und erhält dadurch den Charakter einer unangemessenen, fehlangepassten, anstößigen Reaktion“ (Etchegoyen 1999, S. 83). Etchegoyen beschreibt ein spezifisches Phänomen: Der analytische Prozess gerät in eine heimtückische Sackgasse, die sich selbst aufrechterhält, während gleichzeitig das Setting intakt bleibt. Dies Existenz dieses Phänomens ist nicht klar ersichtlich, wurzelt in der Psychopathologie des Patienten und beeinflusst die Gegenübertragung des Analytikers. Etchegoyen wählte den Begriff „Sackgasse“, um dieses Phänomen zu beschreiben. Es besteht aus einer Gruppe von Strategien, die der Patient einsetzt, um die Entwicklung der Therapie anzugreifen und zu behindern. Zu diesen Strategien kann das Agieren ebenso zählen wie die negative therapeutische Reaktion und die reversible Perspektive. Letztere ist charakterisiert durch eine besondere Denkweise, die darauf zielt, psychischen Schmerz/Unlust um jeden Preis zu vermeiden: Das Subjekt nimmt quasi eine geschickte Umordnung der Dinge vor, um sie dem, was es denkt, anzupassen. Auf diese Weise kommt die Interaktion zum Erliegen. Etchegoyen rekurriert hier auf Bions Konzept der statischen Spaltung. Auch wenn der Patient dem Analytiker auf einer manifesten Ebene zustimmt, kann er in Wirklichkeit an seinen eigenen Prämissen festhalten, die er aber nicht kommuniziert und deren er sich unter Umständen nicht einmal bewusst ist, weil sie unbewusst sind. Auf diese Weise reinterpretiert er die Deutungen des Analytikers dahingehend, dass sie seinen eigenen Prämissen entsprechen. Zu betonen ist, dass der Analytiker dieses Phänomen erst registriert, wenn der Prozess vollständig zum Erliegen kommt. Etchegoyen zufolge taucht die reversible Perspektive, die den analytischen Vertrag untergräbt, im Allgemeinen von Anfang an auf. Wie Bion erläutert, konstituiert sie in den gravierendsten Fällen ein halluzinoseähnliches Phänomen. Wahrnehmung und Erinnerungsphänomene, zum Beispiel wahnhafte Deutungen, tauchen gewöhnlich auf, wenn die analytische Aufgabe die Struktur des Patienten zu erschüttern droht. Dabei darf man aber nie vergessen, dass diese Patienten sich in Analyse begeben, weil sie geheilt werden möchten. VII. Ad. Mauricio Abadi In seinem Buch The Transference schreibt Abadi (1982): Wenn die Psychologie vor Freud eine Wissenschaft war, die sich wie die Musik in der Dimension der Zeit entwickelte, wurde die Psychologie mit Freud zu einer Disziplin, die sich wie die Malerei entfaltet, in den Dimensionen des virtuellen Raumes“ (S. 4). Jeder Mensch ist aktiver Vermittler eines Transports (eine Bedeutung, die ebenfalls mit dem Begriff der Übertragung zusammenhängt) zu einem Objekt, ein

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