Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Vermittler von Substitutionen. Durch die Übertragung werden Affekte durch andere ersetzt und von einem Objekt auf ein anderes verschoben. Nicht allein die Übertragung ist für die Liebe des Analysanden verantwortlich, sondern jede Art der Liebe ist Übertragungsliebe. In der Übertragung entsteht ein „Darstellungsprozess“, eine flüchtige Präsenz, die die Vergangenheit aktualisiert, Abwesenheit auflöst und auf magische, illusorische Weise Dinge geschehen lässt. Es handelt sich um Phantome aus der Kindheit, die das Subjekt gefangen halten. Abadi arbeitet mit einem Inszenierungsmodell und begreift die Übertragung weniger als bloße Erinnerung an Erlebnisse denn als eine Art Collage, die infantile Aspekte mit solchen, die Teil der späteren Entwicklung des Individuums sind und den alten Aspekten neue Bedeutung und Signifikanz verleihen, kombiniert und miteinander verbindet. Während des Übertragungsprozesses werden zwei Personen durch den Prozess verändert: Der Patient, der auf sich selbst das Bild des Kindes, das er einst war, und die Beziehung „überträgt“, die er zum Objekt hatte, und der „Andere“, das Beziehungsobjekt, auf das der Patient das Bild überträgt. Deshalb schreibt Abadi, dass eine Übertragung von Bildern und eine Übertragung von Beziehungen stattfinden. Dieser „Andere“, der in der Übertragung auftaucht, wird mit Affekten, Imagines und Ich-Anteilen ausgestattet, die die Beziehung in eine narzisstische verwandeln. Das heißt, die Übertragung konstituiert eine narzisstische Beziehung zu einem hilfreichen Objekt (eine anaklitische Beziehung), ohne die die Übertragung unmöglich wäre. Diese narzisstische Beziehung wird versuchen, sich eines Objekts zu bemächtigen, das sich zunächst als ein Anderer präsentiert, mit anderen Worten: Es gibt eine Beziehung zu jemandem, der mich dadurch, dass er nicht Ich ist, schützen kann. Der Narzissmus aber drängt darauf, diesen Anderen in einen Selbstanteil zu verwandeln, das heißt, er weigert sich, die unlustvolle, quälende Abhängigkeit anzuerkennen (Verleugnung). Deshalb dringt das Subjekt in den „Anderen“ ein, penetriert ihn, kolonisiert ihn und durchsetzt ihn mit Teilen des eigenen Ichs. Abadi führt die Ursprünge der Übertragung auf die frühen Zeiten der kindlichen Hilflosigkeit und Ohnmacht zurück, die das Kind zu bewältigen versucht, indem es die Andere einführt und gleichzeitig seine eigene Abhängigkeit verleugnet. Der analytische Prozess hat deshalb die Aufgabe, dem Patienten zu helfen, irgendwann anzuerkennen, dass der Andere ein Anderer und kein Selbstanteil ist. Laut Abadi kennzeichnet dies den Unterschied zwischen der Psychoanalyse und anderen Therapiemethoden. Wenn die Übertragung aufgelöst wurde, kann die Realität als „Andersheit“ anerkannt werden. Trotz der Tendenz, den Anderen kennenzulernen, und obwohl die Übertragung eine Brücke darstellt, die dem Kennenlernen zuträglich ist, wird der Andere gleichzeitig nicht anerkannt, sondern durch die Übertragung „verdeckt“, damit die narzisstische Illusion gewahrt bleiben kann. Eine Illusion: genau darum ist es der Übertragung zu tun. Infolge einer Kompromissbildung ist sie sowohl ein Symptom als auch ein

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