Enzyklopädisches Psychoanalytisches Wörterbuch der IPV

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Veränderungen im Diskurs des Patienten und in der Dynamik der Affekte sind Anzeichen für die Existenz eines analytischen Prozesses. Die Barangers nehmen an, dass das kleinianische Verständnis der verschiedenen Angstformen (Verfolgungsangst, depressive Angst und Verwirrtheitsängste) dabei helfen kann, die Richtung, in die sich der Prozess entwickelt, zu überprüfen. Andererseits lehnen sie eine Definition der Übertragung-Gegenübertragung ab, die lediglich auf das, was im Hier und Jetzt erlebt wird, fokussiert. Sie berücksichtigen auch die Nuancen der Übertragung und treffen infolgedessen eine Unterscheidung zwischen jenen Formen der Übertragung, die nicht auf den Mechanismus der projektiven Identifizierung zurückgehen – und durch das gleichzeitige Auftauchen hochspezifischer Gegenübertragungsäußerungen charakterisiert sind, die dem analytischen Feld wichtige pathologische Züge verleihen –, und der strukturierten, repetitiven Übertragung, die Freud als „künstliche Neurose“ bezeichnete (die Schicksale des Ödipuskomplexes). Diese Übertragungen müssen gedeutet werden, während andere, vorübergehende und wechselhafte Formen der Übertragung nach und nach aus der Strukturierung des Feldes hervorgehen und keine sofortige Deutung notwendig machen. Was die Gegenübertragung betrifft, so unterscheiden die Autoren zwischen nicht-klischeehaften Übertragungen des Analytikers auf den Patienten, die Teil des Prozesses sind, und anderen, die durch projektive Identifizierungen des Analytikers aktiviert werden und sogar zu „Mikrowahnvorstellungen in der Gegenübertragung“ führen können. W. und M. Baranger betrachten die Analyse als einen privilegierten Moment, in dem die Lebensgeschichte des Subjekts umgeschrieben wird und ihre Bedeutung sich wandelt. Dies kann anerkannt werden, wenn Einsicht auftaucht, in dem Augenblick, in dem ein Aspekt aus der Lebensgeschichte des Individuums bearbeitet wird und neue Aussichten vorstellbar werden. Der gesamte Prozess entfaltet sich ohne zeitliches Bewusstsein in einer Gegenwart, in der es keine Eile gibt. Er kann sich im Kreis drehen, in anderen Phasen aber Neues mit sich bringen.

VIII. SCHLUSSBETRACHTUNG

Ausgehend von den bescheidenen Anfängen, die Freud machte, als er einen psychischen Irrtum benannte, wurde die Übertragung dank ihrer vielseitigen Erforschung durch Freud selbst und seine Nachfolger zu einem der charakteristischen Aspekte der psychoanalytischen Theorie und klinischen Arbeit. Im gesamten Verlauf der psychoanalytischen Theoriebildung hat man die Kräfte hinter dem Wiederholungsaspekt der Übertragung und ihrer Aktivierung im

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