IHK-Global Business Ausgabe 07/2022

DIVERSIFIZIERUNG

DIVERSIFIZIERUNG

für etwa 3,5 Milliarden Euro Maschinen nach Indien. Al- lerdings gerät die Branche aus zwei Gründen unter Druck. Ei- nerseits werden die einheimi- schen Hersteller immer besser und können heute schon über 50 Prozent der Binnennachfra- ge decken. Andererseits übt die starke chinesische Konkurrenz zusätzlich Druck auf das Preis- gefüge aus. Deutsche Preise lassen sich nur durch ein Alleinstellungsmerkmal, einen USP (Unique Selling Point) oder durch einen technologi- schen Vorsprung rechtfertigen. Ein simpler Hinweis auf gute Qualität „Made in Germany“ reicht heute nicht mehr. Weiterhin gute Absatz- chancen haben Hightech-Ma- schinen sowie der Sonder- maschinen- und Anlagenbau. Besonderer Bedarf besteht aus meiner Sicht im Automobil- bereich und seiner Zuliefer- industrie, bei der Luft- und Raumfahrt, aber auch in der Medizintechnik und der Elek- troindustrie. Der Ukraine-Krieg ändert gerade die Weltpolitik. In- dien hat sich nicht eindeutig positioniert - zumindest aus westlicher Sicht. Wie beurtei- len Sie die indische Haltung im globalen Machtgefüge USA - China - Russland - EU? Halusa: Das ist eine schwieri- ge Frage, ich bin kein Geostra- tege. Indien war traditionell blockfrei, hat sich also auch während des kalten Krieges neutral verhalten. Die kriegeri- schen Auseinandersetzungen mit Pakistan im Jahr 1971, bei denen die USA Pakistan unter- stützten und die UdSSR Indi- en, haben nachhaltige Auswir- kungen bis heute. Indien ist zu großen Teilen von russischen Waffenlieferungen abhängig. Daher hat sich Indien bei den UN-Abstimmungen enthalten. Diese Haltung wird von einem Großteil der Bevölkerung unterstützt.

Wie sieht das Verhältnis zum Westen aus? Halusa: Indien ist sehr an guten Beziehungen zu den USA und der EU interessiert. Das zeigen zahlreiche Ver- einbarungen. Im Rahmen der sogenannten QUAD-Al- lianz (Quadrilateral Security Dialogue) arbeitet Indien eng mit den USA zusammen. Ziel dieser Allianz ist eine stabile Sicherheitsarchitektur im In- do-Pazifik. Mit der EU sollen jetzt die Verhandlungen zu Handels- und Investitions- abkommen wieder aufge- nommen werden. Indien will sich aber nicht auf eine Seite ziehen lassen. Das Ziel ist, auf Basis der eigenen Größe sowie der wirtschaftlichen und mi- litärischen Stärke unabhängig und neutral zu bleiben und zudem multilateral vernetzt zu sein. Welche Rolle spielt der große Nachbar China für die indische Position? Halusa: Am schwierigsten ist das Verhältnis Indiens zu China. Aufgrund seiner Größe, Kultur und Geschichte sieht sich Indien natürlich auf Augenhöhe mit China. Was die Bevölkerungsgröße anbe- langt als einziges Land welt- weit, das in der gleichen Liga spielt. Wirtschaftlich aller- dings ist Indien in den letzten 30 Jahren weit hinter China zurückgefallen. Und nun setzt China seine wirtschaftliche Stärke ein, um in unmittel- barer Nachbarschaft Indiens Einfluss zu gewinnen. Indien wird die Unterstützung der USA und der EU benötigen, um sich stärker gegenüber China positionieren zu kön- nen. Das ist auch im Interesse des Westens, daher sollte die Zusammenarbeit mit Indien weiter ausgebaut werden, auch wenn die Position zu Russland nicht den Wünschen der EU, den USA und anderen entspricht.

Was erachten Sie als besonders schwierig? Was lässt sich als besonders positiv vermerken? Halusa: Landerwerb ist in Indien ein sehr komplexes und zeitaufwändiges Unterfangen. Hier kann ich nur dazu raten, mit professioneller Unterstüt- zung vorzugehen. Ein sehr positiver Aspekt für ausländische Investoren ist das liberale Investitionsum- feld. In den meisten Branchen können ausländische Gesell- schafter bis zu hundert Prozent des Firmenkapitals halten. Es gibt keinen Zwang, mit indi- schen Geschäftspartnern ein Joint Venture einzugehen. Stichwort „China+1“: Viele Hersteller versuchen, für jedes Vorprodukt zumindest einen alternativen Zulieferer zu erschließen. Ist Indien ein ge- eigneter Beschaffungsmarkt? Halusa: Ausländische Investi- tionen in Indien konzentrieren sich seit Jahren überwiegend auf den großen inländischen Absatzmarkt. Indien hat nie eine aggressive Exportstrategie wie China verfolgt. Allerdings sind im ersten Quartal 2022 die Einfuhren aus Indien um 30 Prozent gestiegen: ein erster Hinweis, dass Indien stärker in den Fokus deutscher Einkäufer gerückt ist. In einigen Branchen hat die indische Industrie Schwierig- keiten in Preis und Qualität Weltmarkt-Niveau zu er- reichen. Anders als in China können indische Unternehmen auch nicht von massiven staat- lichen Subventionen profitie- ren. In welchen Branchen sehen Sie besonderen Bedarf an (deutschen) Werkzeugma- schinen in Indien? Halusa: Die deutsche Werk- zeugmaschinenindustrie ist seit vielen Dekaden erfolg- reich in Indien unterwegs. Jedes Jahr liefert Deutschland

China ist bei fast jeder Diskussion der Elefant im Raum. Indischen Gesprächs- partnern geht der ständige Vergleich auf die Nerven. Indien ist Indien, braucht seine eigenen Lösun- gen und muss seinen eigenen Weg finden.“

Indien will die Produk- tionskapazitäten auf dem Subkontinent erhöhen. Im Visier sind neben Au- tomobilbau und Pharma auch die Elektronik- und die Elektroindustrie. Im Bild: Glühbirnenmonta- ge am Fließband.

Löst Indien China als Werkbank ab?

Stefan Halusa Hauptgeschäfts- führer der AHK Indien

Die Pandemie hat die globalen Lieferketten kräftig gestört. Die große Abhängigkeit von China stellt viele deutsche Unternehmen vor die Frage, ob und wie sie ihre Zuliefe- rungen und Produktionsstandorte diversifizieren sollen. Unsere Indien-Expertinnen Gabriele Borchard und Sabrina Weigold sprachen mit Stefan Halusa, Hauptgeschäftsführer der AHK Indien, welche Rolle Indien dabei spielen kann.

Indien als alternativer Produktions- standort für deutsche Unternehmen: Welche aktuellen Entwicklungen sehen Sie? Stefan Halusa: Mit seinen 1,3 Mil- liarden Einwohnern und einer großen Zahl gut ausgebildeter Menschen bietet Indien für viele deutsche Unter- nehmen Chancen. Um ausländische Investoren anzulocken und insbe- sondere industrielle Arbeitsplätze zu schaffen, hat die indische Regierung 2020 die sogenannten „Production Linked Incentives (PLI)“ geschaf- fen. Diese bieten diversen Branchen finanzielle Anreize, in Produktionska- pazitäten in Indien zu investieren. Aus deutscher Sicht besonders interessant sind die Automobilindustrie, Her- steller elektronischer Produkte und Komponenten, Medizintechnik und pharmazeutische Produkte sowie die Batteriezellenchemie. Die Investitio- nen bieten jeweils auch Chancen für Zulieferer der genannten Branchen.

Welche Branchen profitieren besonders? Halusa: Ein wesentlicher Bereich, für den bei den deutsch-indischen Regierungskonsultationen im Mai 2022 eine engere Zusammenarbeit vereinbart wurde, sind die Erneuer- baren Energien. Beide Länder sind hochgradig von Energieimporten abhängig und haben das Ziel, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Sowohl in Deutschland als auch in Indien werden erhebliche Investitionen in diesen Bereich fließen. Chancen eröffnen sich zudem aus den geplanten Investitionen in die Infrastruktur. Die indische Regie- rung erstellt unter dem Namen „Gati Shakti“ einen Masterplan zur Verbes- serung der digitalen und realen Infra- struktur, in den über 100 Milliarden Euro fließen sollen. Die Investitions- und Produktions- bedingungen in Indien sind nicht mit

denen in China vergleichbar. Worauf müssen sich deutsche Unternehmen einstellen? Halusa: Als erstes ist zu beachten, dass es nicht nur „ein Indien“ gibt. Indien ist ein föderaler Staat. Die Investitions- und Produktionsbe- dingungen variieren von Bundes- land zu Bundesland erheblich. Wer in Indien investieren und produzie- ren will, sollte zunächst die wich- tigsten Faktoren für die Auswahl des Standortes zusammentragen: Wo sitzen die Kunden, im Inland, im Ausland? Wo die Lieferanten? Welche Infrastruktur wird benö- tigt? Grundsätzlich bemühen sich viele Landesregierungen, Regis- trierungs- und Genehmigungsver- fahren zu vereinfachen oder sie im Sinne einer zentralen Abwicklung („Single Window Clearance“) zu- sammenzufassen. Da gibt es deut- liche Fortschritte, aber sicher nicht überall.

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ihk.de/rhein-neckar

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