NATIONAL GEOGRAPHIC

T E XT JULIA GRAVEN

FÜR DEN LANDSCHAFTSARCHITEKTEN THOMAS HAUCK spielten Igel oder Insekten in seiner Arbeit lange Zeit keine Rolle. Wenn sich der Professor an der TU Wien in der Lehre oder bei Entwür- fen mit der Natur beschäftigte, ging es vor allem um Pflanzen. „Für Tiere war der Naturschutz da“, erzählt er. Das änderte sich mit einer einfachen Frage, die der Biologe Wolfgang Weisser ihm stellte. „Warum gestaltet ihr nicht für Tiere?“, wollte der renommierte Professor für Terrestrische Ökologie an der TU München wissen. Weisser beschäftigt sich schon lange mit der abnehmenden biologischen Vielfalt und suchte Mitstreiter für mehr Biodiversität und Natur in urbanen Räumen. Eine Stadt ohne Tiere wäre für ihn nicht mehr lebenswert, sagt er. Etliche Wildtiere sind in deutschen Städten auf dem Vormarsch. In Berlins Außenbezirken sind es Wildschweine, in Kassel Wasch- bären, in der Leipziger Innenstadt streifen Füchse umher. Wan- derfalken sind heute sogar eher in der Stadt als in freier Natur zu finden. Diese Kulturfolger lockt vor allem das Nahrungsangebot im Umfeld des Menschen: offene Mülltonnen, Grillplätze, Kom- posthaufen. Andere Arten werden dagegen von Verdichtung und versiegelten Flächen aus den Städten vertrieben. So finden viele Vögel in glatten Neubaufassaden keine Mitwohngelegen- heit mehr. Mit Brachflächen verschwindet Nahrung in Form von Würmern und Insekten. Zudem machen Autos und Katzen ihnen das Leben schwer. Vor diesem Hintergrund haben der Landschaftsarchitekt Hauck und Biologe Weisser eine Methode entwickelt, die eine tiergerechte Stadtplanung ermöglicht: das Animal-Aided Design, kurz AAD. Sie wollen ihre Projekte so gestalten, dass wilde Tiere in Städten einen Lebensraum finden, der ihren Bedürfnissen gerecht wird und das Zusammenleben mit dem Menschen mög- lichst unkompliziert macht. Ob und wie das AAD in der Reali- tät funktioniert, haben die beiden bei einer Wohnanlage einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft im Münchner Stadtteil Laim überprüft. Vor zwei Jahren sind dort die ersten Bewoh- ner eingezogen. Neben 99 Wohnungen für Menschen gibt es dort auch ein Winterquartier für Igel, Niststeine für den Haus- sperling, Bruthöhlen für die Zwergfledermaus, Gründächer für Insekten und Nistkästen für den Grünspecht. Fassaden werden jetzt auch „betiert“

Der Igel frisst Käfer, Spinnen und andere Insekten. Gartenbe- sitzer können den geschützten Tieren helfen, indem sie rund ums Haus nicht zu sehr aufräumen: Totholz, Laubhafen oder Kompost bieten Igeln Unterschlupf. Damit sie in den Garten gelangen können, brauchen sie Durchlässe in Zaun oder Mauer.

108 NATIONAL GEOGRAPHIC

Made with FlippingBook flipbook maker