NATIONAL GEOGRAPHIC

für die Bewahrung des kulturellen Erbes Jahr für Jahr weiter zu kürzen – was nicht selten dazu führte, dass entdeckte Fundstätten erneut vergra- ben wurden, da ihre Erhaltung kostspielig wäre. Es braucht kontinuierliche Erhaltungsmaß- nahmen. Die Gebiete rund um die Via Appia würden aber tendenziell übersehen, bedauern manche Archäologen: Wenn es mal Geld gebe, lande es für gewöhnlich in bekannteren Stätten wie etwa Pompeji und Herculaneum. Carnovalini hatte mich vorgewarnt. Eine Reise auf der Via Appia sei unvergleichlich, weil ungeschönt, „ein einziges Auf und Ab. In einem Moment sagt man: ‚Oh, ist das herrlich‘, und dann wendet man den Kopf ab und stöhnt: ‚Puh, wie entsetzlich.‘“ Italien, fügt er noch hinzu, „ist nicht bloß eine hübsche Ansichtskarte.“ Die Aussage bewahrheitet sich, als ich mich Tarent nähere, einer Hafenstadt etwa 65 Kilo- meter vor dem Endpunkt der Via Appia. Es ist der einzige Ort, an dem Carnovalini und Rumiz auf ihrer Wanderung gezwungen waren, ein Taxi zu nehmen. Vor mir erstreckt sich eine 16 Qua- dratkilometer umfassende Industriezone. Das Schadstoffe ausstoßende Stahlwerk Ilva, das größte in Europa, habe Tarent in „Italiens Ab- grund“ verwandelt, meinte ein italienischer Journalist vor meiner Ankunft. Die Via Appia führt an den Hochöfen vorbei direkt auf eine Insel, auf der sich die Altstadt von Tarent befindet. Hier fühlt es sich an, als wäre die Zeit um 60 Jahre zurückgespult wor- den. Durch kleine Schaufenster sieht man betagte Männer, die religiöse Figuren bemalen, um sie an die wenigen Touristen zu verkaufen. Fischerboote drängen sich an der Uferprome- nade. Manchmal seien Delphine und Wale am Horizont zu sehen, wie man mir erzählt. Gewun- dene Gassen führen zu einer mit viel Marmor ausgestatteten Kathedrale. Tarent wird auf der Stelle zu meinem Lieblingsort entlang der Via Appia. Doch über dieser Fata Morgana des alten Italiens hängen die schwarzen, aus industriellen Schornsteinen aufsteigenden Rauchschwaden. Tarent war die einzige Stadt, die die Sparta- ner außerhalb Griechenlands gründeten. Eine Reihe altgriechischer Säulen steht noch nahe der Küste. Dort treffe ich Massimo Castellana, Mitglied einer Gruppe von Aktivisten, die für die Schließung des Stahlwerks kämpfen. An Tagen, wenn der Wind Stahlpartikel in die Stadt weht, schließen die Anwohner ihre Fenster und schi- cken ihre Kinder nicht zur Schule. In Studien

IV. DER WIDERSPRUCH ITALIENS KULTURMINISTERIUM stellte 20 Millio- nen Euro für die touristische Entwicklung der Via Appia zur Verfügung. Doch als ich archäo- logische Stätten entlang der Route aufsuche, ist deutlich erkennbar, dass es dringend weitere Geldmittel braucht. Archäologen haben bei- spielsweise das Jahr 2020 damit verbracht, in der Stadt Passo di Mirabella einen 45 Meter lan- gen Abschnitt von Pflastersteinen freizulegen. Seither harren die Steine geschützt unter einer großen Plane ihrer weiteren Verwendung. Nur durch eine Anschlussfinanzierung könnte das Team seine Funde nachhaltig konservieren. Es ist dieselbe Geschichte allerorten in Italien. Ein Konjunktureinbruch hat die Regierung in den letzten zehn Jahren dazu gebracht, das Budget

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VIA APPIA

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