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„fast unmöglich“, einen Kleinen Kubafinken zu finden, sagt der 75-jährige Alayón. „In mei- ner Kindheit waren sie weit verbreitet.“ Die auf Kuba endemischen Vögel werden wegen ihres klaren, hohen Gesangs und des leuchtend gel- ben Federschmucks hinter den Augen und um den Hals bewundert. Es bestehe „kein Zweifel“, klagt Alayón, dass die Kleinen Kubafinken heute „wegen der Fangaktivitäten gefährdet sind“. Das gilt auch für die Papstfinken mit ihrer leuchtend roten Brust, dem blauen Kopf und den grünen Flügeln. Sie ziehen zwischen dem Südos- ten der Vereinigten Staaten und der Karibik hin und her. Ihre Zahl ist in den letzten Jahrzehnten infolge des Verlusts von Lebensraum und des illegalen Handels nicht nur in Kuba stark zurück- gegangen, wie regelmäßige Bestandszählungen nordamerikanischer Vögel zeigen. „Es gibt nur wenige Informationen darüber, wie viele Vögel gefangen werden“, sagt Clark Ru­ shing, Professor an der University of Georgia und Experte für Papstfinken. Um ihren Zug zu verfolgen, setzten Rushing und sein Team vor fünf Jahren Netze ein, um die Vögel in ihren Brutgebieten in Florida und weiteren Staaten zu fangen. Das Team legte den Vögeln ID-Bänder um die Knöchel, stattete sie mit kleinen Rucksäcken aus, die Geolokatoren enthielten, und ließ sie wieder frei. Die Forscher fanden heraus, dass die Rückkehrwahrschein- lichkeit von Papstfinken, die den ganzen Weg zu ihren Winterquartieren in Kuba zurücklegen, um 20 Prozent geringer ist als bei Vögeln, die über eine kürzere Strecke unterwegs waren. Der lange Flug über das offene Meer könnte einen Teil der Verluste erklären, sagt Rushing, doch auch die Fallenstellerei könnte ein Faktor sein. Die Fotografin Karine Aigner erzählte, dass Vogelfänger ihr während ihres Aufenthalts in Kuba einen Geolokator verkauften, den sie einem Papstfinken abgenommen hatten, die sie gerade gefangen hatten. „Wir konnten bestätigen, dass es sich um einen Vogel handelte, der ursprüng- lich in South Carolina beringt worden war“, sagt Rushing. VIELE DER ILLEGALEN Fallensteller seien Teen- ager, erzählt Eduardo Iñigo-Elias, ein pensionier- ter Forscher am Cornell Lab of Ornithology. „Sie fordern sich gegenseitig heraus, um zu sehen, wer mehr Vögel fangen und mehr Geld bekom- men kann.“ Doch in Kuba wächst der öffentliche Druck, den Handel mit Singvögeln zu stoppen.

OBEN Ein Fallensteller in den Bergen

UNTEN Ermittler Rene Taboas von der Florida Fish and Wildlife Conserva- tion Commission hält einen konfiszierten Papstfinken. Mit seinen Kollegen packt er nach einem Einsatz nahe Miami Vögel, Fallen und Käfige zusammen.

außerhalb der Stadt Trinidad hält einen männlichen Schwarz- gimpelfink hoch. Er hofft, dass der Ruf seines Vogels andere Exemplare der Art anlockt.

Im August 2020 twitterte Präsident Miguel Díaz- Canel Bermúdez auf Spanisch und Englisch: „Wir müssen gegen illegale Aktionen gegen die Flora und Fauna vorgehen. NEIN zum Schmuggel von Wildvögeln!“ Er begleitete seine Worte mit Bil- dern von Singvögeln, unter anderen vom Papst- finken und dem Kleinen Kubafinken. Der Singvogelfang hat sich bis in die USA aus- gebreitet, insbesondere in der Gegend um Miami, einer kubanisch-amerikanischen Hochburg. In Florida werden jedes Jahr Tausende Singvögel in Wäldern und Hinterhöfen gefangen. Nach Anga- ben der Strafverfolgungsbehörden Floridas sind viele Fallensteller kubanischer Abstammung. Aus Kuba werden auch Vögel geschmuggelt. Im Januar 2016 schnappten Zollbeamte am inter- nationalen Flughafen von Miami einen Einwoh- ner von Miami. Er war mit neun Singvögeln aus Kuba eingereist, die er in einer Gürteltasche und in Plastikröhren in seiner Unterwäsche versteckt hatte. Nachdem er während seiner Bewährungs- zeit weiterhin geschützte Zugvögel verkauft hatte, wurde er zu 15 Monaten Haft in einem US-Gefängnis verurteilt. Die Menschen wollen der Natur nahe sein, sagt Alayón, und das Fangen von Singvögeln sei in der kubanischen Kultur fest verankert. „Die schwie- rigste Sache der Welt ist in Kuba, die Meinung der Menschen zu ändern.“ Vom Singvogelwettbewerb an jenem Sonntag in Havanna berichtete mein Kontaktmann, dass noch vor Mittag eine Polizeistreife erschienen sei. Es sei jedoch niemand verhaftet worden – die Vogelbesitzer waren verschwunden. Ein Schaulustiger hatte diese Erklärung: Man habe ihnen einen Tipp gegeben, dass die Polizei unter- wegs sei. j Aus dem Englischen von Anne Sander

Dina Fine Maron ist Reporterin für NATIONAL GEO- GRAPHICS Wildlife Watch. Karine Aigner fotogra- fierte Harpyien für unsere Oktober-Ausgabe 2020.

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